E-Auto-Boom: Es kommt auf die Politik an
Mit einer Verschärfung der EU-weiten CO2-Flottengrenzwerte und einer Reform der Fahrzeug- und Kraftstoffbesteuerung ließe sich das Wachstum der Elektromobilität verstetigen
Die Zulassungszahlen des Kraftfahrtbundesamts veranschaulichen eine erstaunliche Entwicklung: Innerhalb der beiden vergangenen Jahre ist der Anteil von batterieelektrischen Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden zusammen bei den verkauften Neuwagen auf mehr als das Achtfache gestiegen, von durchschnittlich drei Prozent im Jahr 2019 auf 26 Prozent im Jahr 2021; im Dezember 2021 erreichte er den bisherigen Höchststand von knapp 36 Prozent. Es sieht so aus, als wäre 2020 der Durchbruch für die Elektromobilität gelungen.
Hersteller reagieren auf CO2-Flottengrenzwerte und Geldstrafen
Entscheidend für diesen Durchbruch war zunächst die Verschärfung der CO2-Flottengrenzwerte für Neuwagen, die 2020 und 2021 vollumfänglich ihre Wirkung entfalteten. Demnach müssen Automobilhersteller EU-weit einen durchschnittlichen Zielwert von 95 Gramm CO2/km für die im Jahr 2020 und 2021 verkauften Fahrzeuge erreichen (nach NEFZ-Verfahren). Hersteller von schwereren Fahrzeugen dürfen mit ihren Werten darüber liegen. Für die deutschen Hersteller ergeben sich dadurch europäische Ziele von rechnerisch ungefähr 99 g CO2/km für den VW-Konzern, 104 g CO2/km für BMW und 107 g CO2/km für Daimler/Mercedes-Benz. Umgekehrt müssen Hersteller von leichteren Fahrzeugen Werte erreichen, die unter dem durchschnittlichen Zielwert liegen.
Für Massenhersteller kann das Überschreiten der Grenzwerte zu Strafzahlungen in Höhe von Hunderten von Millionen Euro führen. Der Verkauf von batterieelektrischen Fahrzeugen und Plug-in Hybriden ist für die Hersteller eine wichtige Maßnahme, um derartige Strafzahlungen zu vermeiden. Darüber hinaus dürfen die Hersteller weitere Maßnahmen anwenden, wie etwa Verbesserungen am Verbrennungsmotor oder am Fahrwiderstand.
Den drei deutschen Pkw-Herstellern ist es 2020 gelungen, den Anteil von reinen E-Autos und Plug-in-Hybriden an ihren in EU-Staaten – und weiteren Ländern wie Norwegen – verkauften Neuwagen so zu steigern, dass sie ihren Emissionszielwert erreichen oder nur geringfügig überschreiten. Alles deutet darauf hin, dass sie die Zielwerte auch 2021 einhalten werden.
Große Zeitsprünge bei Grenzwerten sind kontraproduktiv
So sehr die EU-Grenzwerte den Verkauf von batterieelektrischen Fahrzeugen und Plug-in-Hybriden in den beiden Zieljahren 2020 und 2021 angereizt haben, so wenig haben sie das 2019 getan. Diese Entwicklung hat System: Hohe Zulassungszahlen von Pkw mit Ladestecker zahlten sich im Jahr 2019 für die Hersteller noch nicht aus. Denn die Zielwerte sinken bisher nicht von Jahr zu Jahr, sondern in Fünfjahresschritten. Im Jahr 2019 galt also noch derselbe Durchschnittswert wie im Jahr 2015: 130 g CO2/km.
Höhere Verkaufsanteile der grundsätzlich noch weniger margenträchtigen E-Autos hatten also im Jahr 2019 keinen finanziellen Gegenwert in Form von vermiedenen Strafzahlungen. Wenn das System, Grenzwertstufen nur alle fünf Jahre festzulegen, nicht geändert wird, ist davon auszugehen, dass sich dieses Muster wiederholt: sprunghaft ansteigende Anteile von E-Fahrzeugverkäufen in den Zieljahren während sich in den Jahren zwischen den Zielwerten weiter kaum etwas tut. Da der nächste Grenzwert erst 2025 gilt, sind vorher von den Flottengrenzwerten kaum weitere Impulse für einen anhaltenden E-Auto-Boom zu erwarten.
Kaufinteressierte reagieren auf Preissignale
Ein anderer maßgeblicher Faktor für den Elektroboom der Jahre 2020 und 2021 war das Aufstocken der Kaufzuschüsse. Im Februar 2020 wurde der sogenannte Umweltbonus für reine E-Autos auf bis zu 6000 Euro erhöht. Dieser Betrag wurde dann im Juli 2020 im Rahmen des Corona-Konjunkturpakets mit der Innovationsprämie auf bis zu 9000 Euro aufgestockt. Dabei beschränkte die Bundesregierung die Kaufzuschüsse auf batterieelektrische Fahrzeuge und Plug-in-Hybride. Verbrenner-Pkw gingen leer aus. Weitere Vergünstigungen erhielten reine E-Autos und Plug-in-Hybride seit Anfang 2019 im Rahmen der Dienstwagenbesteuerung.
Die Erhöhung der Kaufzuschüsse dürfte ein entscheidender Grund gewesen sein, warum viele sich seit Mitte 2020 für ein elektrisches Modell entschieden haben. Eine Untersuchung von Agora Verkehrswende auf Basis von ADAC-Daten für alle rund 8000 in Deutschland erhältlichen Neuwagenmodelle zeigt, dass die Anschaffungspreise für batterieelektrische Fahrzeuge dank der Kaufzuschüsse inzwischen insgesamt auf ähnlichem Niveau sind wie die für vergleichbare Verbrenner. Auch bei den Gesamtkosten in den ersten fünf Jahren nach dem Kauf sind reine E-Autos dank der Kaufzuschüsse mittlerweile ebenbürtig.
Grenzwerte verschärfen, Steuern reformieren
EU-Flottengrenzwerte und Kaufzuschüsse waren entscheidend für den Boom der reinen E-Autos und Plug-in-Hybride seit 2020. Ohne weitere politische Maßnahmen könnte sich diese Entwicklung als Strohfeuer erweisen. Die Bundesregierung hat sich mit 15 Millionen rein elektrischen Pkw bis 2030 ein ehrgeiziges Ziel gesetzt. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen sowohl bei den CO2-Flottengrenzwerten als auch bei den Kaufzuschüssen und den Fahrzeug- und Kraftstoffsteuern weitere Anpassungen folgen:
- Die Bundesregierung sollte sich für eine weitere Erhöhung der Anforderungen durch die EU-Flottengrenzwerte einsetzen. Starke EU-Flottengrenzwerte helfen maßgeblich dabei, den Hochlauf der Elektromobilität zu beschleunigen. Dazu gehört: eine Minderung von möglichst 75 Prozent im Jahr 2030 im Vergleich zu 2021, eine Anpassung des Grenzwerts für 2025 im Hinblick auf den erhöhten Grenzwert für 2030 und eine 100-Prozent-Reduktion spätestens im Jahr 2035. Um eine stetige Entwicklung zu gewährleisten, braucht es zudem jährliche Zielwerte ab 2025.
- Da die Verschärfung der EU-weiten CO2-Flottengrenzwerte aller Voraussicht nach erst ab 2025 greifen wird, sind rasch wirksame Maßnahmen auf nationaler Ebene umso wichtiger. So gilt es, die Kaufzuschüsse umzugestalten und parallel die Kfz-Steuer zu reformieren. Für eine komplette Abschaffung der Kaufzuschüsse ist es derzeit zu früh, aber sie sollten durch höhere und stärker am CO2-Ausstoß orientierte Steuern auf Spritschlucker gegenfinanziert werden; idealerweise werden diese direkt bei der Pkw-Erstzulassung wirksam. Dadurch entsteht ein ökologisch wie fiskalisch nachhaltigeres und sozial gerechtes Bonus-Malus-System. Darüber hinaus ist es notwendig, die Dienstwagenregelung konsequenter am Beitrag zum Klimaschutz auszurichten und die CO2-Preise auf Kraftstoffe weiter anzuheben.
- Die Förderung für Plug-in-Hybride über Kaufzuschüsse und Steuervorteile sollte grundlegend überarbeitet und nur dann gewährt werden, wenn ein überwiegend elektrischer Fahranteil nachgewiesen werden kann. Plug-in-Hybride werden bislang meist verbrennungsmotorisch genutzt und leisten damit kaum einen realen Beitrag zum Klimaschutz.
Will die Bundesregierung den E-Auto-Boom fortsetzen, um 15 Millionen reine E-Autos bis 2030 auf die Straße zu bringen, muss sie dafür viel tun. Von alleine wird das nichts. Die genannten Maßnahmen sind in ein Gesamtkonzept für Klimaneutralität im Verkehrssektor einzubetten, sodass alle Elemente ineinandergreifen – vom Ausbau der Ladeinfrastruktur bis zur Verlagerung von motorisiertem Individualverkehr auf Bus, Bahn und Fahrrad sowie auf geteilte Fahrzeuge und Fußverkehr. Die akute Lage bei der Überarbeitung der CO2-Flottengrenzwerte und der Weiterentwicklung von Preissignalen für den Automarkt zeigt, dass es höchste Zeit ist für ein umfassendes Regierungsprogramm für die Verkehrswende.
Zuerst erschienen in Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility am 27.01.2022.
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