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Format
Politikpapier
Date
26. Februar 2025

Kabinettstück Verkehrswende

Empfehlungen für ressortübergreifenden Klimaschutz im Verkehr als Wegbereiter für Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit

Vorwort

Das Kabinett ist in Deutschland eine andere Bezeichnung für die Gesamtheit der Regierung bestehend aus Bundeskanzler und Bundesministerinnen und -ministern. Der Begriff leitet sich ab vom französischen cabinet und bezeichnet ursprünglich ein kleines Zimmer oder eine Kammer, mitunter ohne Fenster und schlecht beheizbar. In europäischen Monarchien war es der Nebenraum, in dem ein Herrscher vertraulich seine Berater empfing. Mit der Demokratisierung verloren Monarchen ihre Macht, aber das Kabinett blieb die Bezeichnung für den Ort, an dem sich die führenden Vertreter:innen einer Regierung beraten und Entscheidungen treffen. Aus dem Nebenraum wurde der Hauptort des Regierens, mit eigenem Saal und großen Fenstern im Bundeskanzleramt. 

Mit diesem Papier plädieren wir dafür, die Verkehrswende fest im Bundeskabinett zu verankern – also mitten im gemeinsamen Regierungshandeln. Bisher fand sie politisch eher in der kleinen Kammer als im großen Saal statt. Die bisherigen Fortschritte reichen, gemessen am Ziel der Klimaneutralität bis 2045, bei Weitem nicht aus. Gleichzeitig nimmt der Handlungsdruck an vielen Stellen zu, nicht nur bei der Reduktion der Treibhausgasemissionen.

Die deutsche und europäische Automobilindustrie hinkt im internationalen Wettbewerb auf dem Weg zur Elektromobilität hinterher. Mehr Tempo ist auch gefragt beim Ausbau der Ladeinfrastruktur, der Netzintegration von Elektromobilität, der Digitalisierung von Mobilitätsdienstleistungen und der Qualifikation von Arbeitskräften für die neuen Anforderungen. Straßen, Brücken und Schienen sind sanierungsbedürftig. Autos stehen im Stau, Züge sind verspätet, Millionen von Menschen haben kaum Zugang zum öffentlichen Verkehr. Gleichzeitig ist nur schwer vorstellbar, wie die Bundesregierung mit den bisher verwendeten Instrumenten die erforderlichen öffentlichen Investitionen für eine zukunftsfähige Verkehrsinfrastruktur stemmen und die privaten Investitionen anreizen kann. Auch die Kommunen wären mit ihrer aktuellen Ausstattung nicht in der Lage, ihrer Schlüsselrolle für klimaneutralen Verkehr gerecht zu werden.

All diese Aufgaben und Herausforderungen hängen mit Verkehr und Mobilität zusammen, aber ihre Auswirkungen gehen weit darüber hinaus. Entsprechend verteilen sich die politischen Verantwortlichkeiten auf viele Ressorts – von Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung und Energie bis Soziales, Gesundheit, ländliche Entwicklung und internationale Zusammenarbeit. In der neuen Legislaturperiode kommt es darauf an, diese Verantwortlichkeiten gut zusammenzuführen und die Verkehrswende als Gemeinschaftswerk der Bundesregierung einzurichten. Dann kann die Verkehrswende als Vorzeigeprojekt mit hohem Mehrwert für Wirtschaft und Gesellschaft gelingen – gewissermaßen als Kabinettstück.

Plädoyer für eine ressortübergreifende ­Verkehrswende

Klimaschutz hat die Bundestagswahl im Februar 2025 nicht entschieden, aber er entscheidet mit über den Erfolg der neuen Bundesregierung. Denn Maßnahmen, die die Verkehrswende voranbringen, zahlen auf Ziele in weiteren Politikfeldern ein. Die Verkehrswende – also die Verlagerung von Verkehr auf umweltverträglichere Fahrzeuge und Fortbewegungsformen (Mobilitäts- und Logistikwende) sowie die Umstellung auf elektrische Antriebe und erneuerbare Energien (Antriebs- und Energiewende) – ist weit mehr als ein Klima- oder Verkehrsprojekt. Sie ist auch ein Zukunftsprojekt für Staatsfinanzen und Infrastrukturinvestitionen, Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätze, Energieversorgung und Kaufkraft, Lebensqualität und gesellschaftlichen Zusammenhalt.

Mit diesem Politikpapier zeigt Agora Verkehrswende auf, wie Klimaschutz im Verkehr in zentralen politischen Handlungsfeldern verankert ist und mit welchen Maßnahmen sowie Instrumenten eine neue Bundesregierung ihn voranbringen kann. Dabei wird deutlich, dass die Aufgabe nicht in der Verantwortung eines einzelnen Ministeriums liegen kann. Ob Finanzen, Wirtschaft, Digitalisierung, Energie, Gesundheit, Soziales oder internationale Zusammenarbeit – all diese Politikfelder spielen neben Verkehr und Klima eine wichtige Rolle für die Verkehrswende. So war zum Beispiel bei der Kfz-Steuer zuletzt das Bundesfinanzministerium federführend, bei Kaufprämien für Elektroautos das Bundeswirtschaftsministerium, bei der Förderung von Innovationen in der Batterietechnologie das Bundesforschungsministerium.

Um erfolgreicher zu sein als in der Vergangenheit, werden alle verantwortlichen Ressorts in der neuen Bundesregierung eng zusammenarbeiten müssen. Für solch eine ressortübergreifende Zusammenarbeit, zum Beispiel koordiniert durch ein Klimakabinett, braucht es eine klare Aufteilung der Aufgaben und Verantwortlichkeiten sowie ein gemeinsames Verständnis davon, was zu tun ist und wie es am besten angepackt werden kann. Dieses Papier skizziert deshalb einleitend, wo Deutschland beim Klimaschutz im Verkehr steht und welche Prioritäten für die kommende Legislaturperiode ressortübergreifend gesetzt werden sollten. Die darauffolgenden Kapitel führen genauer aus, was dies für einzelne politische Handlungsfelder bedeutet.

In der Konkurrenz der Krisen – von Covid-Pandemie und Krieg gegen die Ukraine über Rezession und Kaufkraftverlust bis Angst vor gesellschaftlicher Spaltung – mag die Klimakrise zuletzt weniger öffentliche Aufmerksamkeit bekommen haben, aber in der Politik führt kein Weg an ihr vorbei. Sie lässt sich nicht zurückstellen und der Schutz vor ihren Folgen ist rechtsstaatlich fest verankert: Aus dem Grundgesetz ergibt sich der Auftrag, die natürlichen Lebensgrundlagen und die Freiheiten junger und zukünftiger Generation zu schützen. Gemäß Pariser Klimaabkommen ist Deutschland völkerrechtlich verpflichtet, die Erderhitzung im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter auf deutlich unter zwei Grad und möglichst auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Hinzu kommen klimapolitische Richtlinien nach europäischem Recht. Unabhängig davon liegt konsequenter Klimaschutz auch in Deutschlands industrie-, finanz- und gesellschaftspolitischem Eigeninteresse: Mit guter Klimapolitik lässt sich das Wohl von Wirtschaft und Gesellschaft wahren und weiterentwickeln, ohne sie steigen die Kosten, Risiken und Schäden erheblich.

Klimaneutraler Verkehr 2045 ist machbar

Der Weg zum klimaneutralen Verkehr erweist sich als eine der schwersten Aufgaben für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft im Bereich Klimaschutz. Die selbst gesteckten verkehrs- und klimapolitischen Ziele für das Jahr 2030 geraten zusehends außer Reichweite, da sie nicht ausreichend mit wirkungsvollen Maßnahmen und Instrumenten unterfüttert sind. Die Verlagerungsziele der Bundesregierung – etwa die Verdopplung der Verkehrsleistung im Schienenpersonenverkehr oder ein Marktanteil von 25 Prozent der Bahn im Güterverkehr – sind kaum noch realistisch. Gleiches gilt für das Ziel von 15 Millionen batterieelektrischen Fahrzeugen im Pkw-Bestand – ein zentrales Erfolgskriterium für die Transformation der Automobilindustrie in Deutschland.

Seit 2021 weichen die Treibhausgasemissionen des deutschen Verkehrssektors immer weiter vom notwendigen Reduktionspfad ab, trotz Covid-Pandemie und konjunktureller Schwäche, die die Verkehrsleistung vorübergehend sinken ließen. Im Jahr 2024 wird der Verkehrssektor das im Klimaschutzgesetz vereinbarte Emissionsziel von 125 Millionen Tonnen CO2 nach Agora-Schätzung um 19 Millionen Tonnen überschreiten. Bis 2030 könnte die Zielverfehlung im Verkehr mit den aktuellen Rahmenbedingungen nach Schätzung des Umweltbundesamtes kumuliert auf rund 180 Millionen Tonnen CO2 anwachsen. Noch können andere Sektoren die Emissionsüberschreitungen im Verkehrssektor ausgleichen, allen voran die Energiewirtschaft und die Industrie. Doch das kann und wird nicht dauerhaft so bleiben. Schließlich müssen bis 2045 alle Sektoren zusammen ihre CO2-Emissionen auf netto null senken.

Die Neuauflage der Agora-Studie Klimaneutrales Deutschland macht deutlich, wie sehr auch der Verkehr seine Emissionen bis 2030 senken muss, damit das sektorübergreifende Ziel einer Minderung um 65 Prozent bis 2030 erreichbar bleibt. Zudem drohen hohe Strafzahlungen unter der europäischen Verordnung zur Lastenteilung für Verkehr und Gebäude (ESR), wenn deren Klimaziele nicht eingehalten werden. Auch mit Blick auf das Ziel der Klimaneutralität bis 2045 sind unverzügliche Maßnahmen insbesondere im Verkehr erforderlich, sprich: Elektrifizierung von Pkw- und Lkw-Verkehr sowie Verlagerung auf Busse und Bahnen, geteilte Mobilität, Fuß- und Radverkehr. Umgekehrt zeigt die Studie aber auch: Noch ist eine aufholende Entwicklung ohne größere wirtschaftliche Disruptionen möglich; noch ist zumindest das sektorübergreifende Ziel für 2030 erreichbar; noch hat auch der Verkehrssektor eine Perspektive, bis 2045 klimaneutral zu werden. Ob und wie dies gelingt, hängt entscheidend von der neuen Bundesregierung ab.

Schlüssel für wettbewerbsfähige Mobilitätswirtschaft

Der Kurs für eine erfolgreiche Klimaschutzpolitik zeichnet sich auf europäischer Ebene bereits ab. Auf den Green Deal der ersten Amtszeit von Kommissionpräsidentin Ursula von der Leyen folgt der Clean Industrial Deal. Klima- und Industriepolitik sollen damit in Einklang gebracht werden. Eine Grundlage für diesen Kurs liefert der Bericht The Future of European competitiveness des einstigen italienischen Ministerpräsidenten und ehemaligen Präsidenten der Europäischen Zentralbank Mario Draghi von September 2024.

Der Draghi-Bericht unterstreicht, dass eine grüne Transformation nur mit einer starken Wirtschaft gelingen kann und dass umgekehrt wirtschaftlicher Erfolg zunehmend an nachhaltige Innovationen gebunden ist. Dafür sei eine Kraftanstrengung notwendig, die in ihrer finanziellen Größenordnung – gemessen als Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) – deutlich oberhalb jener des Marshall-Plans liegt, mit dem die USA nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau Europas förderten. Das Finanzvolumen der anstehenden Wettbewerbsagenda umfasse rund vier bis fünf Prozent des BIP der europäischen Staatengemeinschaft. Der Report hebt zudem die Notwendigkeit einer eng abgestimmten Politik hervor, die unterschiedliche Handlungsfelder von Handelspolitik und Beihilferecht über Digitalisierung bis zur Ressourcennutzung und Umweltstandards integriert. Besonders für die deutsche Automobilindustrie ist die branchenspezifische Konkretisierung des Clean Industrial Deal in Form des Automotive Action Plan entscheidend, um Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit als sich ergänzende Ziele aufeinander abzustimmen.

Nach diesem Vorbild der Europäischen Kommission sollte auch die neue Bundesregierung die Transformation zur Klimaneutralität angehen und als Schlüssel für Wettbewerbsfähigkeit nutzen. Dazu gehört nicht nur ein gemeinsamer Wille und eine Strategie, sondern auch eine enge Verknüpfung der verschiedenen verantwortlichen Ressorts auf Bundesebene sowie das Einwirken auf andere Handlungsebenen – von kommunal und föderal bis zu Europäischer Union und Vereinten Nationen.

Schwerpunkte mit Mehrwert für die ganze Gesellschaft

Aufbauend auf der Kopplung von Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit lässt sich mit der Verkehrswende weiterer gesellschaftlicher Mehrwert schaffen. Die Verkehrswende dient auch dazu, soziale Teilhabe zu ermöglichen, Gesundheit und Lebensqualität zu verbessern sowie Kosten und Chancen der Transformation gerecht zu verteilen. Viele Menschen mit niedrigem Einkommen zum Beispiel können sich weite Wege nicht leisten. Das führt zu weniger sozialer Teilhabe oder – insbesondere bei Angewiesenheit auf einen Pkw – zu starker Belastung des Haushaltsbudgets und Verzicht in anderen Lebensbereichen. Denn in vielen Regionen sind Orte der sozialen und gesundheitlichen Versorgung, des Einkaufs, der Bildung, Erholung und Kultur ohne eigenen Pkw nicht gut erreichbar. Dort sind neben ärmeren Menschen insbesondere junge und ältere sowie Menschen mit Beeinträchtigungen in ihrer sozialen Teilhabe eingeschränkt. Besonders häufig ist das in ländlichen Regionen mit niedriger ÖPNV-Erschließung der Fall. Gemeinden mit sehr niedrigen Einkommen und sehr hoher Autoabhängigkeit sind entsprechend besonders vulnerabel gegenüber höheren Kraftstoffpreisen.

Die Vorhaben, die die neue Bundesregierung in der 21. Legislaturperiode für Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit im Verkehr auf den Weg bringen sollte, lassen sich in vier Schwerpunkten zusammenfassen:

  • Finanzreform und Investitionsoffensive fördern Wohlstand und soziale Gerechtigkeit: Deutschland kann im Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden – ohne Einbußen in der Mobilität und ohne Mehrkosten im Vergleich zu dem, was bis 2045 ohne Kurs auf Klimaneutralität ausgegeben werden müsste. Für den Aufbau der benötigten Kapazitäten bei Infrastrukturen und im öffentlichen Verkehr entwickelt die Bundesregierung eine verlässliche und verfassungskonforme Finanzierungstrategie sowie eine Finanzarchitektur, mit denen öffentliche Investitionen schnell, langfristig und im hinreichenden Umfang gesichert werden können. Über eine verkehrsträgerübergreifende und an den Klimazielen orientierte Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplanung werden die Investitionsbedarfe für ein zukunftsfähiges Verkehrssystem bestimmt. Für private Investitionen – vor allem in klimaverträglichere Fahrzeuge und deren Energieversorgung – benötigen Haushalte und Unternehmen Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit und Klimaschutz zugleich gewährleisten. Zentral ist eine am CO2-Ausstoß orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Subventionen rund um den Pkw – von Dienstwagen- und Kfz-Besteuerung bis zu CO2-Preis mit Klimageld und verursachergerechter Pkw-Maut. Damit lassen sich die Chancen und Lasten der Transformation sozial gerechter als heute verteilen und individuelle Härten über eine klimapolitisch gezielte, sozial ausgewogene Verwendung der Einnahmen weiter abfedern.
     
  • Industrielle Transformation sichert Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung: Voraussetzung für einen langfristig erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland ist, dass die Industrie entschlossen in der begonnenen Transformation zur Klimaneutralität vorangeht. Für die Automobilindustrie sind die Zukunftschancen mit einem schnellen Hochlauf der Elektromobilität am größten. Dafür sind Orientierung und Planbarkeit sowie ein starker Leitmarkt für Elektrofahrzeuge in Deutschland unerlässlich. Deshalb braucht es in den kommenden Jahren auf europäischer wie auf nationaler Ebene eine stärkere Verknüpfung von Industrie- und Klimapolitik. Das Fundament werden weiterhin ambitionierte CO2-Flottengrenzwerte sein, die es politisch zu flankieren gilt – mit Instrumenten zur Verbreitung der Elektromobilität in gewerblichen Flotten, wirtschaftlichen Anreizen, die vor allem kleinere Elektroautos günstiger machen, und einem weiterhin schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur sowie bezahlbaren Ladepreisen. Auf EU-Ebene kann sich die Bundesregierung in den Diskussionen zur Konkretisierung des Clean Industrial Deal für die Automobilindustrie stark machen. Darüber hinaus setzt sie sich ein für: mehr Investitionen in die Batteriewertschöpfungskette, die Ansiedlung chinesischer Batterie- und Fahrzeughersteller nach gemeinsamen Regeln für den europäischen Markt sowie für eine internationale Harmonisierung und Weiterentwicklung der Methoden zur Berechnung der CO₂-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette. Fahrzeuge und ihre Bestandteile werden schließlich gemäß der Circular-Car-Vision nahezu vollständig wiederverwertbar sein und so weit wie möglich mit sekundären Rohstoffen produziert werden.
     
  • Integration der Elektromobilität in die Stromnetze senkt Kosten, nachhaltig produzierte erneuerbare Kraftstoffe komplettieren das Ende des fossilen Zeitalters: Die Möglichkeit, bidirektional zu laden – vom Netz in die Batterie und von der Batterie ins Netz – birgt ein erhebliches Potenzial zur Senkung der Kosten sowohl für die Energie- als auch für die Verkehrswende. Ein effektives Management der Ladenachfrage hilft, den Energiebedarf effizienter zu decken und gleichzeitig den Ausbaubedarf der Stromnetze zu verringern. Die daraus resultierenden Kosteneinsparungen können den Wechsel zum Elektroauto unterstützen. Um diese Potenziale zu erschließen, entwickelt die Bundesregierung ein klares Zielbild und gestaltet entsprechende Rahmenbedingungen. Nachhaltig produzierte erneuerbare Kraftstoffe sind dort eine wichtige Ergänzung für den Klimaschutz im Verkehr, wo es keine batterieelektrische Lösung gibt – insbesondere im Luft- und Seeverkehr. E-Fuels, die mit erneuerbarem Strom und aus der Atmosphäre gewonnenem CO2 hergestellt werden, werden aber voraussichtlich in den nächsten Jahrzehnten nur begrenzt verfügbar und teuer sein. Sie sind daher zielgerichtet zu produzieren und effizient zu nutzen. Die Produktion solcher Kraftstoffe im industriellen Maßstab stockt bislang erheblich. Ein langfristiges verkehrsträger- sowie sektorenübergreifendes politisches Konzept, das zusätzliche Anreize und Mechanismen entwickelt, schafft über 2030 hinaus Planungssicherheit, um die wirtschaftlichen Risiken für den Aufbau von Produktionsanlagen zu minimieren.
     
  • Bezahlbare Mobilität für alle gewährleistet gleichwertige soziale Teilhabe in Stadt und Land: Die Preise für Benzin und Diesel werden weiter steigen, je mehr die volkswirtschaftlichen Kosten für das Verbrennen von fossilen Ressourcen angerechnet werden. Eine signifikante Preissteigerung ist für 2027 absehbar, wenn der Europäische Emissionshandel auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet wird. Umso mehr braucht es eine Gesamtstrategie, wie insbesondere Menschen mit niedrigerem Einkommen, die bisher auf ein eigenes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor angewiesen sind, auf klimaneutrale Alternativen umsteigen können – seien es günstige Elektrofahrzeuge oder ein attraktiver Verbund aus Bus und Bahn, flexiblen Sharing- oder Pooling-Diensten sowie aktiver Mobilität (Fahrrad- und Fußverkehr). Beim Ausbau des Angebots im öffentlichen Verkehr wird es aufgrund des Arbeitskräftemangels und der Personalkosten mittelfristig besonders auf automatisierte Fahrzeuge ankommen. Ziel ist eine Mobilitätsgarantie, die flächendeckend ein Mindestangebot des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge gewährleistet und so die soziale Teilhabe erleichtert. Digitale Auskunfts- und Buchungssysteme vereinfachen den Zugang zu öffentlichen Mobilitätsangeboten sowie geteilten Elektroautos. Im ländlichen Raum kann außerdem eine neue Offensive für Elektromobilität im öffentlichen wie im privaten Verkehr die Lage verbessern. Im Stadtverkehr geht es darum, saubere und sichere Mobilität für alle zu ermöglichen und den wertvollen öffentlichen Raum so zu gestalten, dass er mehr Aufenthaltsqualität und Klimaresilienz bietet.

Zu den Schwerpunkten Finanzierung, Wirtschaft, Energie und soziale Teilhabe führt dieses Politikpapier in den folgenden Kapiteln mit Bezug zum Verkehrssektor genauer aus, welche Instrumente einer Bundesregierung zur Verfügung stehen und wie sie diese nutzen kann. Hinzu kommen Kapitel zu zwei weiteren Handlungsfeldern, die eng mit den Schwerpunkten verknüpft sind: Digitalisierung und Klimaschutz.

Darüber hinaus gibt es weitere relevante Handlungsfelder und Querschnittsaufgaben wie etwa die Stärkung der Kommunen als Gestalter der Verkehrswende (Kapitel 1.3, 4.4), die besondere Berücksichtigung des ländlichen Raums (Kapitel 4.2, 4.3, 5.3), die europäische Politik und die internationale Zusammenarbeit (siehe die mit entsprechenden Symbolen markierten Passagen in allen Kapiteln) und die Forschungsförderung. Neben technologiespezifischer Forschung, etwa zu elektrischen Batterien und Speichern, Datenplattformen oder zur Kreislaufwirtschaft, kann interdisziplinäre Forschung untersuchen, welche Faktoren individuelle Entscheidungen über die Nutzung bestimmter Verkehrsmittel beeinflussen. Hierfür sind zum Beispiel soziologische, ökonomische und psychologische Perspektiven relevant. Darauf aufbauend ließe sich besser verstehen, welche Maßnahmen und Instrumente am geeignetsten sind, klimafreundliche Entscheidungen zu unterstützen. Damit kann Politik zielgerichteter und effektiver mit Anreizen und Informationsangeboten Zielgruppen erreichen, die heute noch zögern, aber mit entsprechenden Argumenten und Angeboten zu überzeugen sind (Kapitel 4.6).

Die meisten der hier genannten Instrumente und Handlungsoptionen sind nicht neu. In Fachkreisen werden sie zum Teil schon seit Jahren diskutiert; für manche gibt es auch erfolgreiche Vorbilder im Ausland. Die Herausforderung liegt darin, sie in einem kohärenten politischen Gesamtkonzept zusammenzubringen und in gut koordiniertes Regierungshandeln der Ressorts zu übertragen. Der Klimaschutz beziehungsweise der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen muss dabei nicht zwingend die erste Motivation sein. Auch wer wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit und gesamtgesellschaftlichen Zusammenhalt in den Mittelpunkt stellt, kann dies am verlässlichsten mit der Verkehrswende. Das neue Bundeskabinett hat es in der Hand, diesen Weg zu gestalten.

Inhalt

Vorwort 3

Plädoyer für eine ressortübergreifende Verkehrswende 7
Klimaneutraler Verkehr 2045 ist machbar 7
Schlüssel für wettbewerbsfähige Mobilitätswirtschaft 8
Schwerpunkte mit Mehrwert für die ganze Gesellschaft 8

1 | Finanzierung und Planung: Vorfahrt für Zukunftsinvestitionen 12
1.1    Neue Finanzierungsarchitektur mit drei Säulen aufbauen 13
1.2    Schuldenbremse reformieren und Kreditvarianten ermöglichen 14
1.3    Planbarkeit und Flexibilität im Umgang mit Infrastrukturbudgets erhöhen 15
1.4    Investitionen in Schiene und Straße an Klimaneutralität orientieren 16

2 | Wirtschaft und Industrie: Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung durch Transformation 19
2.1    Planungs- und Investitionssicherheit langfristig gewährleisten 20
2.2    Neue Wertschöpfungsketten etablieren 20
2.3    Produktion auf Transformation ausrichten 21
2.4    Einen starken Heimatmarkt für Elektrofahrzeuge schaffen 22
2.5    Kreislaufwirtschaft zum High-Tech-Sektor weiterentwickeln 23

3 | Energie: Synergien aus Strom, Speichern und Kraftstoffen 24
3.1    Energieeffizienz steigern 25
3.2    Für mehr und bessere Ladeinfrastruktur sorgen 25
3.3    Netzintegration für Verkehrs- und Energiewende nutzen 26
3.4    Erneuerbare Kraftstoffe nachhaltig produzieren und gezielt einsetzen 26

4 | Soziales und Gesundheit: Saubere und sichere Mobilität für alle 28
4.1    Bezahlbarkeit gewährleisten 29
4.2    ÖPNV-Offensive starten 29
4.3    Lebensverhältnisse im ländlichen Raum verbessern 30
4.4    Kommunales Handeln erleichtern und Straßenverkehrsrecht weiterentwickeln 30
4.5    Zahl der Verkehrstoten auf null senken (Vision Zero) 31
4.6    Gesundheit durch aktive Mobilität, saubere Luft und wenig Lärm fördern 31

5 | Digitalisierung und Automatisierung: Daten im Dienst des Gemeinwohls 33
5.1    Datenarchitektur aufbauen und Verwaltung modernisieren 34
5.2    Neue Geschäftsmodelle erleichtern 34
5.3    Autonomes Fahren auf Straße und Schiene bringen 35

6 | Klima: Orientierung und Planungssicherheit auf allen Ebenen 36
6.1    Verkehr national auf Klimakurs bringen 37
6.2    Europäische Klima- und Industriepolitik ambitioniert mitgestalten 37
6.3    Institutionen und Kooperationen international stärken 38

Bibliographische Daten

Autor:innen
Wolfgang Aichinger, Janna Aljets, Leon Berks, Dr. Carl-Friedrich Elmer, Dr. Philine Gaffron, Naville Geiriseb, Christian Hochfeld, Philipp Kosok, Elisabeth le Claire, Dr. Urs Maier, Kerstin Meyer, Dr. Ulf Neuling, Johannes Oetjen, Fanny Tausendteufel, Yannick Thoma, Marion Vieweg, Dr. Wiebke Zimmer
Publikationsnummer
121-2025-DE
Versionsnummer
1.0
Veröffentlichungsdatum

26. Februar 2025

Seitenzahl
38
Zitiervorschlag
Agora Verkehrswende (2025): Kabinettstück Verkehrswende. Empfehlungen für ressortübergreifenden Klima­schutz im Verkehr als ­Wegbereiter für Wettbewerbs­fähigkeit und soziale Gerechtigkeit.

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