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Format
Blog
Date
12. März 2020

Synthetische Kraftstoffe nicht auf CO₂-Flottengrenzwerte anrechnen

Der Preis wären Intransparenz, Glaubwürdigkeitsverlust und verschärfte Nutzungskonkurrenz

Die Anrechnung kohlenstoffarmer Kraftstoffe auf Fahrzeugstandards könnte den Autoherstellern die Einhaltung ihrer Flottengrenzwerte erleichtern. Der Preis wären Intransparenz, Glaubwürdigkeitsverlust und verschärfte Nutzungskonkurrenz mit jenen Sektoren, in denen solche Kraftstoffe unverzichtbar sind, schreibt Günter Hörmandinger von Agora Verkehrswende.

Synthetische Kraftstoffe, die mithilfe von erneuerbarem Strom und aus der Luft abgeschiedenem CO2 klimaneutral hergestellt werden, können theoretisch konventionelle Kraftstoffe ohne motorseitige Veränderungen ersetzen und auf diese Weise den Verbrennungsmotor klimaverträglich machen.

Das beflügelt die Idee, dass ein Hersteller ein konventionelles Fahrzeug mit Verbrennungsmotor dann als Nullemissionsfahrzeug im Sinne der europäischen CO2-Flottengrenzwerte deklarieren können sollte, wenn er nachweislich für die Produktion von so viel klimaneutral hergestelltem Kraftstoff sorgt, wie das Fahrzeug über seine Lebensdauer verbrauchen würde. Zwar ist dieses Konzept nicht Teil der EU-Gesetzgebung, aber sie enthält einen entsprechenden Prüfauftrag. Ähnliches findet sich bei den Flottengrenzwerten von Lkw.

Das Problem ist nicht so sehr der Kraftstoff selbst – unter der Annahme, dass er auf nachhaltige Weise hergestellt wird, was keineswegs selbstverständlich ist. Wir bei Agora Verkehrswende sehen solche Kraftstoffe sogar als einen unverzichtbaren Teil einer Verkehrswende hin zu einem klimaneutralen Verkehrssystem, und zwar in jenen Anwendungen, für die nach heutigem Kenntnisstand keine Alternativen vorhanden sind. Dies gilt insbesondere für den Langstrecken-Flugverkehr. Auch in der Industrie wird der Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu großem Bedarf an emissionsfrei hergestelltem Wasserstoff und eventuell auch daraus produzierten synthetischen Kohlenwasserstoffen führen.

Es sprechen jedoch gewichtige Gründe gegen eine Anrechnung von klimaneutralen Kraftstoffen auf die EU-Flottengrenzwerte.

Hoher Strombedarf und Nutzungskonkurrenz

Diese Kraftstoffe benötigen – wenn sie klimaneutral sein sollen – große Mengen zusätzlichen erneuerbaren Stroms. Der wird auf absehbare Zeit knapp bleiben, nicht nur in Deutschland, sondern auch in jenen Ländern, die aufgrund ihrer hohen Solar- oder Windpotenziale als mögliche Exporteure in Frage kommen. Eine Anrechnung wie beschrieben würde die Nachfrage hier zusätzlich erhöhen. Ein mit strombasiertem synthetischem Kraftstoff betriebenes konventionelles Fahrzeug hat annähernd den fünffachen Strombedarf eines vergleichbaren Elektrofahrzeugs. Diese Menge an Strom und dem damit hergestellten erneuerbaren Kraftstoff wird für die vorhersehbare Zukunft anderen Verwendungszwecken fehlen – jenen, in denen fossile Energie schwerer zu ersetzen ist als im Pkw-Verkehr.

Schlupflöcher und Vertrauensverlust

Schon jetzt droht der CO2-Gesetzgebung ein Glaubwürdigkeitsdesaster ähnlich jenem, das im Zuge des Dieselskandals für die Stickoxid-Emissionen von Diesel-Pkw entstand. Dies nicht nur wegen der Mehremissionen im wirklichen Fahrbetrieb verglichen mit den offiziellen Werten, sondern auch aufgrund von Flexibilitäten in der Gesetzgebung wie etwa Öko-Innovationen, dem sogenannten Zero and Low Emission Vehicles (ZLEV)-Faktor, und sogenannter Supercredits, die alle zu einer Abschwächung der erforderlichen CO2-Verminderungen führen.

Die Anrechnung alternativer Kraftstoffe auf die Grenzwerte wäre ein weiteres Schlupfloch – mit dem Effekt, dass der Zweck der Gesetzgebung unterminiert wird: die Fahrzeuge effizienter und damit weniger CO2-intensiv zu machen, oder Nullemissionsfahrzeuge auf den Markt zu bringen. Die Materie ist zwar komplex, aber auf Dauer wird es sich nicht verheimlichen lassen, wie auf diese Weise der Klimaschutz im Straßenverkehr verzwergt. Dann wird der Eindruck einer bewussten Verschleierung entstehen – so wie beim Dieselskandal.

Schließlich sprechen regulatorische Gründe gegen eine solche Anrechnung. Es würden damit verschiedenartige Regulierungsbereiche vermischt, nämlich Produktstandards, die sich an die Fahrzeughersteller richten, und Kraftstoffregulierungen, die die Kraftstoffindustrie betreffen. Dies sind sehr verschiedene Geschäftsfelder. Damit besteht die Gefahr einer Vermengung von Zielen, Doppelanrechnungen und Überregulierung.

Bundesregierung spielt entscheidende Rolle

All dies ist keine theoretische Debatte. Das Bundeswirtschaftsministerium befürwortet mit Unterstützung von Teilen der Industrie eine Anrechnung alternativer Kraftstoffe auf die Flottengrenzwerte. Diese Position wird allerdings nicht von allen Teilen der Bundesregierung geteilt. Die europäische Kommission hat angekündigt, die für 2023 vorgesehene Überprüfung der Flottengrenzwerte für Pkw schon auf Juni 2021 vorzuziehen. Die Positionierung der Bundesregierung wird dabei eine wichtige Rolle spielen, schon in der Vorbereitungsphase.

Die Bundesregierung sollte sich nicht für eine Aufweichung der Flottengrenzwerte einsetzen und auch nicht für ein Rettungsprogramm für eine Technologie, den Verbrennungsmotor, deren Ende absehbar ist. Viel wichtiger ist eine Konzentration auf die letztlich unvermeidliche technologische Revolution in der Antriebstechnologie hin zu elektrischen Antriebssträngen. Diese wird von der Bundesregierung grundsätzlich unterstützt. In der Diskussion über die Flottengrenzwerte kann die Bundesregierung zeigen, wie ernst sie es damit meint. Deutschland hat es in der Hand, hier führend mitzuwirken – aber nur, wenn die regulatorischen Weichen auch auf EU-Ebene richtiggestellt werden.

Zuerst erschienen im Tagesspiegel Background Mobilität & Transport am 12. März 2020