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Format
Hintergrundpapier
Date
10. April 2025

Von der Mobilitätsberatung zum Mobilitätsdialog

Neun Thesen zu Gesprächen auf Augenhöhe als Baustein für die Mobilitätswende

Einleitung

Viele Kommunen oder Verkehrsbetriebe bieten klassische Mobilitätsberatungen an. In der Regel geht es darum, über die verschiedenen Mobilitätsangebote in der Kommune zu informieren und dabei auch Alternativen zum privaten Pkw aufzuzeigen. Die Beratungen sind meist als offene Angebote für Laufkundschaft (zum Beispiel Kundenzentren in Bahnhöfen) oder als unverbindliche Angebote wie Info-Flyer beim Zuzug in oder Umzug innerhalb einer Kommune konzipiert. Damit erreichen sie allerdings nur eine sehr kleine Zielgruppe. In diesem Papier soll in neun Thesen dargelegt werden, wie diese klassischen Beratungen weiterentwickelt werden können, um passgenauer mehr Zielgruppen zu erreichen und damit Mobilitätsroutinen von Menschen dauerhaft zu verändern. Diese neue Form der Mobilitätsberatung wird hier Mobilitätsdialog genannt, um auf den neuen Charakter dieses Angebots zu verweisen.

Mobilitätsdialoge analysieren im persönlichen Gespräch auf Augenhöhe die individuellen Mobilitätsmuster, ermitteln den Bedarf von Personen und Haushalten und bieten konkrete Vorschläge an, um das alltägliche Mobilitätsverhalten kostengünstiger, stressfreier, zeitsparender, gesünder und/oder klimaschonender zu gestalten. Mobilitätsdialoge sollen nicht bevormunden, sondern wie persönliche Coachings Menschen ermächtigen und zur bewussten Gestaltung der eigenen Mobilität motivieren. Dies kann auch dazu beitragen, dass Lebensqualität und Sicherheit allgemein zunehmen und gesundheits- sowie klimaschädliche Emissionen im Verkehr sinken.

These 1: Die Mobilitätswende gelingt mit der ­Veränderung von ­Mobilitätsroutinen

Die Voraussetzungen für eine Mobilitätswende auf der Angebotsseite sind allgemein bekannt: eine gut ausgebaute Infrastruktur für den ÖPNV, das Rad und den Fußverkehr sowie zusätzliche umweltfreundliche Mobilitätsdienstleistungen (zum Beispiel Sharing-Angebote), die das Auto in Privatbesitz (in Teilen) ersetzen oder zumindest ergänzen können. Doch eine Mobilitätswende erfordert nicht nur attraktivere Verkehrsangebote, sondern auch eine nachhaltige und langfristige Veränderung der Mobilitätsroutinen eines jedes Einzelnen. Angebot und Nachfrage im Verkehr bedingen und beeinflussen einander und keiner dieser Aspekte sollte vor- oder nachgelagert werden. Die Frage, wie die notwendigen Veränderungen in der Nutzung der Angebote unterstützt werden können, ist bislang jedoch noch kaum beachtet. Im Unterschied zu anderen Bereichen des privaten Konsums (zum Beispiel Ernährung oder Wohnen) gibt es nur wenige verbraucher- und zielgruppenorientierte Programme, die die Mobilitätsroutinen in den Fokus rücken.

Individuelle Mobilitätsdialoge können hier ansetzen, analog zu bereits gut etablierten Strom- oder Energieberatungen. In Mobilitätsdialogen lassen sich individuelle Mobilitätsmuster reflektieren und analysieren und die Bedarfe von Personen und Haushalten ermitteln. Darauf aufbauend können passgenaue Vorschläge entwickelt werden, die die Mobilität effizienter und klimaschonender machen. Im Gegensatz zu Mobilitätsberatungen kann bei Mobilitätsdialogen das eigene Mobilitätsverhalten in eine größere Erzählung eingebunden sein und das Gespräch auf Wünsche und Vorstellungen zur Gestaltung des öffentlichen Raums im Lebensumfeld bringen. Dies macht den Menschen bewusst, wie sehr Verkehrsarten den Lebensraum prägen und wie viel Anteil Einzelne daran haben können.

Verlauf und Fokus der Gespräche können sehr unterschiedlich und individuell sein: Einige Menschen werden sich ihrer bereits fest etablierten multimodalen Verkehrsmittelnutzung bewusster, andere werden auf bestehende Angebote hingewiesen und wieder andere wollen vielleicht ihre Bedenken und Berührungsängste zu E-Pkw verlieren. Zudem muss es nicht immer um einen vollumfassenden Umstieg auf Verkehrsmittel des Umweltverbundes gehen. Oft macht es schon einen signifikanten Unterschied, wenn sich für viele kurze Strecken neue Optionen eröffnen.

These 2: Mobilitätsroutinen lassen sich dauerhaft verändern, wenn sie individuelle Vorteile bringen

Menschen sind schwerer zu erreichen, wenn Klimaschutz und damit verbundene individuelle Verhaltensänderungen als notwendig und unvermeidlich in den Vordergrund gestellt werden. Daher sollte es bei den Mobilitätsdialogen weniger um ökologische Fragen gehen als um eine Verbesserung der individuellen Lebenssituation durch die Veränderung von Mobilitätsroutinen. Dabei bietet es sich an, individuelle finanzielle und zeitliche Vorteile in den Vordergrund zu rücken.

Ein eigener Pkw verspricht Bequemlichkeit, Unabhängigkeit und Schnelligkeit. Mobilitätsdialoge können verdeutlichen, welche Kosten tatsächlich mit dem eigenen Pkw verbunden sind. Denn die meisten Haushalte unterschätzen die laufenden Kosten für den Betrieb und die Instandhaltung des eigenen Autos stark. Gleichzeitig können sie aufzeigen, wie sich Kosten durch die Nutzung anderer Verkehrsmittel oder aber auch über die Investition in ein umweltfreundlicheres E-Auto senken lassen. Gerade in ländlichen Räumen sollte der Umstieg vom Verbrenner auf einen E-Pkw hervorgehoben werden, da es hier oftmals wenig andere Verkehrsangebote gibt. Das kann ein Anreiz sein, den eigenen Verbrenner auszutauschen. Zudem zeigen Studien, dass Vorbehalte gegenüber E-Pkw umso größer sind, wenn noch keine praktischen Erfahrungen mit solchen Fahrzeugen gemacht wurden. Shared Mobility kann eine gute Option zur Einsparung von Kosten für Personen sein, die ihr Auto nur gelegentlich nutzen wollen oder müssen.

Individuelle Mobilitätsentscheidungen werden auch nach zeitlichen Kriterien gefällt. Um als Alternative zum privaten Pkw infrage zu kommen, sollten andere Verkehrsmittel ähnliche Wegezeiten ermöglichen. Beim Vergleich kann auf Stau- und Parksuchzeiten verwiesen werden, da Autofahr:innen diese meist nicht einkalkulieren. Insbesondere die vielen kurzen Alltagswege in der Umgebung (unter zwei bis drei Kilometer) weisen einen sehr hohen Anteil an motorisiertem Individualverkehr auf, können aber zu Fuß oder mit dem Rad oft schneller und entspannter zurückgelegt werden.

These 3: Zur Vermittlung ­individueller ­Vorteile braucht es ­spezifische Informationen für einzelne ­Zielgruppen

Menschen brauchen gute und auf sie zugeschnittene Informationen über bestehende Alternativen, um ihre Mobilitätsroutinen neu gestalten zu können. Gerade Multimodalität beziehungsweise die Einbeziehung anderer Mobilitätsformen in die täglichen Routinen überfordert viele. Neue Mobilitätsangebote müssen verstanden, ausprobiert und als Zusatznutzen erkannt werden. Diese Informationen gilt es differenziert und spezifisch für die richtigen Zielgruppen auszuarbeiten. Mit klassischen Formen der Mobilitätsberatung werden bislang vor allem Personen erreicht, die gezielt nach Informationen suchen, offen für Veränderungen sind und sich für ökologisch sinnvolle Handlungsalternativen interessieren. Die Rücklaufquoten bei breiten kommunalen Angeboten sind sehr unterschiedlich, zwischen 5 und 30 Prozent, und es gibt wenige systematische Auswertungen der Maßnahmen.[1]

Mobilitätsdialoge sollten vor allem die Personengruppen ansprechen, die noch Veränderungspotenzial haben, sich aber bisher kaum mit dem Thema beschäftigt haben. Drei Faktoren helfen dabei, Zielgruppen mit größerem Veränderungspotenzial zu identifizieren und gezielt anzusprechen:

  • Zeitpunkt: In Phasen von Lebensumbrüchen (zum Beispiel Umzug, Arbeitsplatzwechsel, Renteneintritt oder Familienzuwachs) entsteht ein Zeitfenster, in dem neue Mobilitätsroutinen leichter ausprobiert und integriert werden können. Diese Lebensumbrüche finden im größeren oder kleineren Rahmen im Durchschnitt alle vier bis fünf Jahr statt. Insofern ergeben sich hier regelmäßig Zeiträume, um Veränderungspotenziale zu erschließen. Ein guter Zeitpunkt für Mobilitätsdialoge ergibt sich auch dann, wenn neue Angebote in der nahen Umgebung entstehen, beispielsweise durch die Einrichtung einer Mobilitätsstation. Solche Anlässe sollten kontinuierlich gesetzt und genutzt werden.
  • Ort: Gerade am Stadtrand oder in ländlichen Regionen ist das Angebot des öffentlichen Verkehrs oft noch nicht attraktiv. Hier können Mobilitätsdialoge den Wechsel zu einem E-Pkw nahelegen oder Optionen wie Park & Ride oder Sharing und Pooling bekannt machen. In gut vernetzten städtischen Regionen mit breitem Angebot im Umweltverbund dürfte das Wissen über diese Alternativen dazu führen, dass das eigene Auto sogar verzichtbar wird.
  • Individuelle Einstellung: Es sollten auch gerade die Personen und Haushalte angesprochen werden, die zwar nicht gerne Auto fahren, aber noch den Eindruck haben, dass sie es müssten. Diese Zielgruppen könnten zum Beispiel über Befragungen oder direkte Weiterempfehlungen identifiziert werden. Bei ihnen ist die Chance am höchsten, dass mit besserer Information Verhaltensänderungen in der Mobilität angestoßen werden können.

Mit solch einer gezielten Ansprache lassen sich Mobilitätsdialoge auf mehr beziehungsweise andere Zielgruppen erweitern und kontinuierlicher anbieten als in klassischen Mobilitätsberatungen. 

[1] Nach Angaben der für dieses Papier interviewten Expert:innen aus der kommunalen Praxis.

These 4: Anreize zum persönlichen Erproben ergänzen klassische Mobilitätsberatungen

Mobilitätsroutinen entwickeln sich aus persönlichen Präferenzen, Prägungen und Gewohnheiten. Anders als bei Gesundheits- oder Ernährungsthemen, spielt der Gedanke der Selbstoptimierung kaum eine Rolle. Viele wollen in ihrer Mobilität nicht beraten werden und empfinden dies schnell als Bevormundung oder Erziehung. Zudem zeigt die Verhaltensforschung, dass Menschen ihre Routinen am ehesten langfristig verändern, wenn sie intrinsisch motiviert sind, also nicht von außen überredet werden.

Eine Möglichkeit, gezielt verschiedene Gruppen für neue Mobilitätsoptionen zu interessieren und damit auch längerfristige Verhaltensänderungen anzustoßen, ist, sie diese erproben zu lassen – im besten Falle spielerisch und jeweils an die Bedarfe der Zielgruppen angepasst. Vorbilder finden sich in Projekten wie „Neue Mobilität Berlin" und „31 Days Challenge" oder bundesweiten Aktionen wie der „Europäischen Mobilitätswoche" und „Stadtradeln". Kern dieser Angebote ist es, dass die Teilnehmer:innen ihr Auto stehen lassen und neue Mobilitätsoptionen ausprobieren, ohne sich entscheiden zu müssen, das eigene Auto ganz aufzugeben. Dafür werden auch Anreize gegeben wie zum Beispiel Freiminuten für Sharing-Fahrzeuge, Rabatte auf ÖPNV-Tickets, etc. Diese Angebote können Teil einer Experimentierphase sein oder auch im Anschluss weiterbestehen, um den Anreiz zu erhöhen, das eigene Auto nicht mehr zu nutzen oder sogar dauerhaft abzuschaffen.

Dieses spielerische Anstoßen zur Veränderung von Routinen, auch Nudging genannt (Englisch to nudge: anstupsen), sollte auf die jeweiligen Zielgruppen zugeschnitten sein. So können zum Beispiel Probierphasen für Jugendliche mit kulturellen Angeboten in der Umgebung verknüpft werden. Erfolgt vor den Experimentierphasen eine Auswahl von Zielgruppen (siehe These 3), lassen sich größere Mitnahmeeffekte ausschließen. Die Erfolgsquoten bei solchen Projekten sind recht hoch, vor allem, weil sie zeitlich beschränkt und überschaubar sind und auf Selbstbestimmung setzen. Auf die Experimentierphasen können individualisierte Beratungen folgen.

Teilnehmer:innen solcher Aktionen oder Experimente können in ihrem sozialen Umfeld eine Vorbild- und Vorreiterrolle übernehmen. Freund:innen, Familie, Nachbar:innen oder Kolleg:innen werden davon erfahren und damit ebenfalls ein Interesse an neuen Mobilitätsroutinen entwickeln. Dies gilt ganz besonders für Jugendliche und Senior:innen.

These 5: Mobilitätsdialoge begegnen den Menschen auf Augenhöhe

Das persönliche Eins-zu-eins-Gespräch ist am effektivsten, um Menschen zum Reflektieren anzuregen und sie zum Erproben neuer Optionen von Mobilitätsroutinen zu ermutigen. So lassen sich Bedenken und Fragen direkt adressieren. Gleichzeitig braucht es eine kommunikative Vorbereitung, damit eine Bereitschaft für individuelle Gespräche entsteht. So ist es sinnvoll, Mobilitätsdialoge mit weiteren Informations- und Kommunikationskanälen zu flankieren: von Hauswurfsendungen, Plakataktionen, Social-Media-Kampagnen über Infostände vor Ort bis hin zu offenen Veranstaltungen und Radiospots. Die Auswahl der Kommunikationsformate richtet sich nach der Zielgruppe, die erreicht werden soll.

Die Gespräche finden so statt, wie es für die Teilnehmenden am besten passt: persönlich vor Ort, am Telefon oder in einem Online-Call. Die Gespräche selbst müssen kostenfrei und so niedrigschwellig wie möglich sein. In England hat sich bei breit angelegten Haustürgesprächen gezeigt, dass diese vor allem deshalb erfolgreich waren, weil die Berater:innen aus dem gleichen sozialen Milieu wie die Mobilitätsnutzer:innen stammten und die Gegebenheiten vor Ort gut kannten. Um ein Gespräch auf Augenhöhe zu ermöglichen, sollten die Anbieter daher im besten Fall mit Menschen aus der Nachbarschaft kooperieren, die die Mobilitätsdialoge durchführen. Zusätzlich können in den Nachbarschaften auch Ansprechpartner:innen etabliert werden, die für Fragen und Informationen bereitstehen. So lässt sich das Angebot über punktuelle Dialoge hinaus verstetigen. Zu Gesprächen auf Augenhöhe gehört es schließlich auch, Absagen zu akzeptieren und dann kein weiteres Marketing zu betreiben. 

Individuelle Mobilitätsdialoge können mit etablierten Formen des Mobilitätsmanagements Hand in Hand gehen und diese ergänzen. So sind schulisches und betriebliches Mobilitätsmanagement gute Vorbilder und erweitern individuelle Beratungen im besten Falle sehr gut. Denkbar wäre daher auch, die Anbieter dieser Beratungen miteinander zu vernetzen (siehe These 8). 

These 6: Angebotsdaten und künstliche Intelligenz ermöglichen pass­genaue Mobilitätsempfehlungen

Mit Hilfe von Echtzeitdaten der möglichen Mobilitätsangebote und von künstlicher Intelligenz sind neue Formen individueller Beratung denkbar, die weniger Personal und Kosten erfordern. Als erster Berührungspunkt könnte eine App oder eine Website dienen, die niedrigschwellig und spielerisch das Mobilitätsverhalten analysiert und auf dieser Basis Vorschläge für eine Veränderung der Mobilitätsroutinen macht. Dafür müsste sie alle Daten und Anbieter in sich vereinen, also ein vollständiges Angebotsbild abgeben können. Im Vordergrund könnten auch hier Aspekte wie Selbstoptimierung, Neugierde und die Freude am Spiel (Gamification) stehen. Viele Menschen nutzen selbstverständlich und routiniert Tracking-Apps, die ihr Verhalten analysieren und optimieren: Apps verfolgen die Ernährungs- und Sportroutinen, die Bildschirmzeit, die täglich zurückgelegten Schritte oder weitere Gesundheitsdaten. Ähnliches sollte auch mit Bezug auf Mobilität möglich sein.

In der App könnten zum Beispiel neben dem Wohnort die drei häufigsten Alltagswege mit dem bisherigen Verkehrsmittel eingegeben werden; oder die App trackt und analysiert über einen bestimmten Zeitraum das Mobilitätsverhalten. Vorbilder dafür sind Apps wie Modalyzer, Mobilität.Leben (TU München) oder moveOmeter (CCTM). Neben der Analyse sollte die App auch Alternativen vorschlagen, möglichst inklusive Angaben zu Kosten, Zeitaufwand und Wirkung für die Gesundheit. Die App ermuntert zu kleinen Veränderungen und lobt Erfolge. Nach einer ersten Phase wäre eine Beratung über die App denkbar, die neue, multimodale Vorschläge macht, auf Angebote in der Umgebung hinweist und Fragen stellt oder beantwortet.

Ein Haushalt mit einem Auto könnte zum Beispiel Informationen dazu erhalten, welche Wege sich wann mit anderen Verkehrsmitteln zurücklegen lassen, was dies für die eigene Fitness und Gesundheit bedeuten würde und wie viel Geld und CO2 damit ungefähr eingespart werden können. Vielleicht zeigt sich so, dass einige Wege ohne Auto gemacht werden können oder sich die Anschaffung eines E-Autos oder die Mitgliedschaft in einem kommunalen oder privaten Sharing-Dienst lohnt. Analog zu Gesundheitstracking-Apps sollten individuelle Präferenzen und Voraussetzungen mit einbezogen werden. So haben Teenager ohne Führerschein oder Menschen im Rollstuhl andere Voraussetzungen und es gibt Menschen, die bestimmte Verkehrsmittel für sich ausschließen. Zum Beispiel ist für viele Frauen der öffentliche Verkehr nachts keine Option. Dies sollte in den persönlichen Vorschlägen berücksichtigt werden.

Eine App kann ein guter spielerischer und freiwilliger Einstieg sein, um sich mit den eigenen Mobilitätsroutinen auseinanderzusetzen. Am Ende sollte aber immer auch ein persönliches Gespräch angeboten werden. Wer mit der App über eine Opt-in-Funktion individuelle Mobilitätsdaten sammelt und auf die ersten Angebote neugierig wird, sollte eine Anlaufstelle oder Kontaktperson für ein persönliches Gespräch erhalten. So lassen sich Zweifel und Fragen noch besser adressieren. 

These 7: Mobilitätsdialoge helfen, das bestehende Mobilitätsangebot weiterzuentwickeln

Mobilitätsdialoge sind keine Einbahnstraße. Sie sollten nicht nur in Richtung der Nutzenden funktionieren, sondern auch Wünsche und Bedarfe aufnehmen. Denn so können sie wichtige Hinweise für die Weiterentwicklung des Mobilitätsangebots geben. Über die individuellen Gespräche und die App-Nutzung werden Bedarfe sichtbar, die im besten Falle über kleinere Maßnahmen in der unmittelbaren Nachbarschaft abgedeckt werden können. Es wird deutlicher, wo zum Beispiel Sharing-Angebote, Mobilitätsstationen oder On-Demand-Services Lücken schließen könnten oder wo das bestehende ÖPNV-Angebot ausgebaut werden sollte – zum Beispiel durch neue Haltestellen oder verbesserte Taktung.

Feedback aufnehmen und darauf reagieren heißt: Menschen mit ihren Mobilitätsbedürfnissen ernst nehmen. Die Beteiligten eines Dialogprojekts sollten Einfluss auf Verkehrs- und Angebotsplanungen ausüben können. Gerade die sichtbare Veränderung vor Ort erhöht die Zustimmung zu neuen Maßnahmen, auch zum Klimaschutz. Natürlich ist dabei auf das Erwartungsmanagement zu achten: Nicht jeder Wunsch von Anwohner:innen wird erfüllt werden können und bestimmte Anliegen brauchen eine lange Planungs- und Vorbereitungszeit. Aber auch das Gespräch über diese Anliegen kann das Vertrauen stärken und die Veränderungsbereitschaft erhöhen.

Mobilitätsdialoge sollten am Ende evaluiert werden. Im besten Fall kann unter Wahrung des Datenschutzes erfasst werden, wie sich das Mobilitätsverhalten verändert hat. Bisher werden die Wirkungen von klassischen Mobilitätsberatungen kaum erfasst. Zudem erreichen diese vorrangig Personengruppen, die sowieso an anderen Mobilitätsroutinen interessiert sind. So ist es bislang schwer, Erfolgsquoten zu definieren und festzustellen. Eine Evaluation hilft dabei herauszufinden, wie Menschen beraten werden sollten, damit es für sie sinnvoll ist und sie ihre Routinen tatsächlich dauerhaft verändern. Dafür gilt es, vorab Ziele und Erfolgskriterien zu definieren und die Beratungen auch weiterzuentwickeln. 

These 8: Mobilitätsdialoge sind ein Gemein­schaftswerk – die Zusammenarbeit verstärkt Qualität und Wirkung

Kommunen oder Verkehrsbetriebe bieten bereits vielfach umfangreiche Mobilitätsberatungen in klassischer Form an. Die erreichten Zielgruppen entsprechen jedoch nicht dem Potenzial von Menschen, die ihre Mobilitätsroutinen tatsächlich verändern könnten (siehe These 3). Um die Wirkung zu vergrößern und die Kommunen nicht mit noch mehr Aufgaben zu überlasten, sollten Mobilitätsdialoge nicht zwangsläufig allein von den Kommunen angeboten werden. In vergangenen Projekten waren Erfolge vor allem dann möglich, wenn verschiedene lokale Stellen beziehungsweise Anbieter zusammengearbeitet haben.

Kommunen könnten mit den Verkehrsbetrieben, mit betrieblichem und schulischem Mobilitätsmanagement sowie Anbietern von Shared Mobility ihre Ressourcen und ihr Wissen bündeln, gemeinsam Kampagnen entwickeln und Menschen ansprechen. So gewinnt das Anliegen von Anfang an bei unterschiedlichen Zielgruppen an Glaubwürdigkeit und findet bei den Menschen auf verschiedenen Wegen Gehör. Die Zusammenarbeit verschiedener Akteure hätte zudem den Vorteil, dass mehr Wissen über Veränderungsphasen bei Menschen (zum Beispiel Jobwechsel, Schulstart, Umzug) rechtzeitig vorhanden ist.

Darüber hinaus könnte das Modell des Gemeinschaftswerks den Vorteil haben, dass neben Evaluationen eine gemeinsame Qualitätssicherung und Weiterbildung stattfindet. Erstrebenswert wäre auch eine Vergleichbarkeit zwischen unterschiedlichen Regionen. Aufgabe von Ländern oder Ländernetzwerken könnte es sein, die Qualität der Mobilitätsdialoge sicherzustellen, indem sie ausbilden, weiterbilden und evaluieren. Nicht zuletzt wäre die Bildung von Netzwerken zwischen Unternehmen, öffentlicher Hand und Bildungsinstitutionen interessant. 

These 9: Der Bund sollte Mobilitätsdialoge fördern

Das Bundesverkehrsministerium investiert jährlich über 90 Prozent des eigenen Haushalts in die Verkehrsinfrastruktur sowie in die Entwicklung neuer Technologien. Hinzu kommen die Ausgabeposten der Länder für Straßen, Schienen und Verkehrswege sowie für den öffentlichen Verkehr. Dies ist angesichts eines hohen Investitionsstaus auch nach wie vor notwendig und es bleibt zu hoffen, dass das nun beschlossene Sondervermögen für Infrastruktur diesen Ausgabenbereich stärken wird. Damit liegt der Schwerpunkt der Ausgaben sowie der politische Fokus auf dem Erhalt und der Verbesserung des verkehrlichen Angebots. Ein blinder Fleck dagegen liegt darin, durch entsprechende Maßnahmen auch die Nachfrageseite zu gestalten. Nur Angebot und Nachfrage im Einklang ergeben einen Nutzen.

Die neuesten Mobilitätsdaten des BMDV[2] zu den Bewegungsmustern der deutschen Bevölkerung zeigen, dass trotz eines minimalen Rückgangs in der MIV-Nutzung recht stabile Muster des Mobilitätsverhaltens sichtbar sind. Die Menschen in Deutschland bewegen sich seit über zwanzig Jahren nahezu konsistent in den gleichen Verkehrsmitteln und damit auf den allermeisten Strecken und Alltagswegen im (eigenen) Pkw. 

Es braucht auch von Seiten der Bundesebene einen stärkeren Fokus auf die Nachfrageseite, um Menschen zu neuen Mobilitätsroutinen zu verhelfen. Bund und Länder sollten daher in Mobilitätsdialoge investieren, um die Menschen gezielt zu neuen Mobilitätsroutinen zu beraten. Verpflichtet sich die neue Bundesregierung dazu, Mobilitätsdialoge zu fördern und bundesweit bekannter zu machen, werden diese in der Breite mehr Wirkung entfalten und können leichter skaliert werden. 

Neben einer finanziellen Ausstattung oder kommunalen Förderprogrammen für Projekte und Personal wäre eine bundesweite Kampagne sowie die Organisation von Netzwerken zur Aus- und Weiterbildung von Mobilitätsdialogberater:innen sinnvoll. Dabei kann auf bereits bestehende, gut funktionierende Netzwerke (zum Beispiel Zukunftsnetz Mobilität NRW, Kompetenznetz Klima Mobil in Baden-Württemberg) aufgebaut werden. Die sonst sehr schmalen Mittel für Kommunikation wären zu erhöhen, da Mobilitätsdialoge eine spezifische Form der Öffentlichkeitsarbeit sind. Auch die App sollte möglichst nicht von jeder Kommune einzeln entwickelt, sondern von Bund und Ländern zur lokalen Nutzung zur Verfügung gestellt werden.

[2] Bundesministerium für Digitales und Verkehrs (2025): Mobilität in Deutschland 2023. Online: www.mobilitaet-in-deutschland.de

Bibliographische Daten

Autor:innen
Janna Aljets
Publikationsnummer
127-2025-DE
Versionsnummer
1.0
Veröffentlichungsdatum

10. April 2025

Seitenzahl
13
Zitiervorschlag
Agora Verkehrswende (2025): Von der Mobilitätsberatung zum Mobilitätsdialog. Neun Thesen zu Gesprächen auf Augenhöhe als Baustein für die Mobilitätswende.

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