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Format
Blog
Date
19. Oktober 2020

Die Maut ist tot, es lebe die Maut

Wie eine intelligente Pkw-Maut zu einem Baustein für ein nachhaltiges Verkehrssystem werden kann

Die Maut ist tot, es lebe die Maut

Während noch die Scherben der gescheiterten sogenannten Ausländermaut aufzukehren sind, gilt es gleichzeitig, den Blick in die Zukunft zu richten. Der nicht nur rechtlich, sondern auch hinsichtlich seiner Lenkungswirkung ungenügende Entwurf einer fahrleistungsunabhängigen Pkw-Maut darf nicht zu einer generellen Diskreditierung des Instruments führen. Vielmehr ist mit Blick auf die zukünftigen Herausforderungen der Verkehrspolitik eine klug ausgestaltete Maut auch für den Pkw-Verkehr mehr denn je geboten. Sie kann einen wichtigen Beitrag zu Klima- und Umweltschutz, Verkehrssystemoptimierung und stabiler Infrastrukturfinanzierung leisten. Sie kann auch dabei helfen, den derzeit wieder aufflammenden Konflikt um den Ausbau des Straßennetzes zu entschärfen. Dafür sollte sie von der Fahrleistung abhängen, differenzierte Preissignale senden und nachhaltige Mobilität finanzieren. Angesichts noch offener Ausgestaltungsfragen und der notwendigen Vorlaufzeit für die Implementierung einer intelligenten Pkw-Maut, sollten die Vorarbeiten umgehend begonnen werden.

Die Bundesregierung steht beim Thema Pkw-Maut vor einem Scherbenhaufen. Übrig bleiben Unwörter wie „Ausländermaut“ und „Mautaffäre“. Die Ausländermaut ist gescheitert, weil sie Fahrerinnen und Fahrer aus anderen Ländern einseitig belastet damit gegen EU-Recht verstoßen hätte. Auch den Versuch, das Maut-Vorhaben über den Umweg einer Ausweitung der Eurovignetten-Richtlinie von Lkw auf Pkw zu retten, hat der Bundesverkehrsminister Anfang Oktober zurückziehen müssen.

In diesem Scheitern liegt aber auch eine Chance. Zunächst einmal droht nun keine Verzögerung mehr dabei, diese für die Lkw-Maut maßgebliche Richtlinie so weiterzuentwickeln, dass die deutsche Lkw-Maut eine stärkere Klimaschutzwirkung entfalten kann; zu nennen ist hier insbesondere die Einführung einer CO2-Komponente. Vor allem aber ist der Weg jetzt frei für eine Debatte über eine verkehrs- und klimapolitisch sinnvolle Pkw-Maut in Deutschland. Eine solche Debatte ist angesichts der enormen Herausforderungen, vor denen die deutsche und europäische Verkehrspolitik stehen, dringend erforderlich.

Verkehr als Sorgenkind des Klimaschutzes

Zuvorderst ist die klimapolitische Herausforderung anzusprechen. Der Verkehrssektor ist das Sorgenkind des Klimaschutzes. Mit geschätzten 163 Mio. Tonnen CO2-Äquivalenten lagen die Verkehrsemissionen im Jahr 2019 auf dem gleichen Niveau wie 1990. Der Verkehr ist damit der einzige Sektor in Deutschland, dessen Treibhausgasemissionen seit dem klimapolitischen Referenzjahr 1990 nicht gesenkt werden konnten. Verantwortlich hierfür waren in erster Linie ein Anstieg der Fahrleistung (vor allen Dingen im Güterverkehr, in geringerem Ausmaß im Personenverkehr), aber auch der Trend zu größeren und höhermotorisierten Pkw, wodurch technische Effizienzgewinne konterkariert wurden.

Im Bundes-Klimaschutzgesetz ist ein Emissionsziel für den Verkehr in Deutschland von 95 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente im Jahr 2030 festgelegt, was einer Reduktion um 42% innerhalb eines Jahrzehnts entspricht. Mit Erhöhung der Klimaschutzambition auf europäischer Ebene im Rahmen des European Green Deal wird eine weitere Zielverschärfung auch für den Verkehr zur Diskussion stehen. Ohne erhebliche zusätzliche klimapolitische Anstrengungen werden die Ziele weit verfehlt werden, so zeigen es verschiedene Szenarien und Projektionen. Dies gilt auch dann, wenn alle Maßnahmen des im Herbst 2019 beschlossenen Klimaschutzprogramms 2030 umgesetzt werden.

Angesichts seines dominanten Emissionsanteils wird dabei gerade der Personenverkehr auf der Straße einen entscheidenden Minderungsbeitrag leisten müssen; er allein ist heute für etwa 100 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente verantwortlich. Auch mit Blick auf weitere Ziele im Umwelt- und Gesundheitsschutz (bspw. Schadstoff- und Lärmbelastung) kommt dem Pkw-Verkehr eine entscheidende Rolle zu.

Verkehrsinfrastrukturen an der Kapazitätsgrenze und Knappheit öffentlichen Raums

Die Straßen in Deutschland sind an vielen Stellen bis oder über die Kapazitätsgrenze hinaus ausgelastet. Dies verursacht direkte und indirekte Kosten für die Nutzer: höhere Kraftstoffkosten, Zeitkosten, Stress. Zugleich führt die Überlastung zu höheren Emissionen. Die Lösung hierfür kann allerdings nicht der stetige Zubau neuer Straßen sein. Dies ist weder ökologisch noch ökonomisch sinnvoll. Das neue Angebot schafft sich seine – wenig umweltverträgliche – Nachfrage. Oder wie es Verkehrsforscher pointiert formulieren: „Wer Straßen sät, wird Verkehr ernten.“ Dies ist empirisch solide belegt. Stattdessen gilt es, die vorhandenen Kapazitäten durch eine sinnvolle Steuerung besser auszulasten. Hierdurch ließe sich auch der gegenwärtig – am Beispiel der A49 und dem Dannenröder Forst in Hessen – wieder aufflammende Konflikt um den Ausbau der Straßeninfrastruktur entschärfen.

Öffentlicher Raum ist gerade in Städten knapp und eine wertvolle Ressource. Ihn im Übermaß und häufig kostenfrei parkenden und fahrenden Pkw zur Verfügung zu stellen, entspricht nicht einer am Gemeinwohl orientierten Verteilung dieses knappen Guts. Günstiger und üppiger Parkraum wirkt verkehrsinduzierend. Die Ressource öffentlicher Raum muss so bewirtschaftet und bepreist werden, wie es ihrem tatsächlichen Wert angemessen ist. Mehr Raum für die Bürger bedeutet mehr Lebensqualität und damit im volkswirtschaftlichen Sinne mehr „Wohlfahrt“ (d.h. einen gesellschaftlichen Nutzenzugewinn).

Mit der für die Zukunft erwarteten zunehmenden Verbreitung autonomer Fahrzeuge könnte der politische Handlungsdruck in Richtung eine stärkeren Verkehrslenkung weiter zunehmen. Kann die Zeit im Pkw – zumindest partiell – anders als für das Lenken des Fahrzeugs genutzt werden und sind möglicherweise fahrerlose Leerfahrten (bspw. Parkplatzsuchverkehre) möglich, verbessert sich die private Kosten-Nutzen-Bilanz des Pkw-Verkehrs. Ohne gegensteuernde regulative Rahmensetzung würde dies einen weiteren Anstieg der Verkehrsnachfrage und der damit verbundenen Flächeninanspruchnahme und Umweltbelastungen nach sich ziehen.

Finanzierungsbedarf zum Erhalt einer qualitativ hochwertigen Infrastruktur

Für die Finanzierung einer qualitativ hochwertigen Verkehrsinfrastruktur stellen sich künftig insbesondere zwei Herausforderungen. Zum einen wird angesichts einer im Zuge der Corona-Krise wieder deutlich steigenden Staatsverschuldung die Frage der Infrastrukturfinanzierung nach der akuten Krisenbekämpfung voraussichtlich wieder an Relevanz gewinnen. Zum anderen werden mit der Transformation bei den Antriebstechnologien jene Steuereinnahmen perspektivisch wegbrechen, die bisher als Grundlage der Straßenfinanzierung galten: die Energiesteuer und die Kfz-Steuer.

Bei der gegenwärtigen Ausgestaltung dieser beiden Steuern werden mit zunehmender Marktdurchdringung elektrischer Antriebe die Steuereinnahmen stark zurück gehen, da ihre Bemessungsgrundlage an die Nutzung von Verbrennungsmotoren anknüpft. Um die selbstgesteckten Klimaziele zu erreichen, werden gegen Ende des Jahrzehnts über 10 Mio. Elektrofahrzeuge im Pkw-Bestand sein müssen. Dies macht deutlich, dass sich die Finanzierungsquellen der Verkehrsinfrastruktur ändern müssen.

Potenzieller Lösungsbeitrag einer fahrleistungsabhängigen und intelligenten Pkw-Maut

Ein Maut-System kann diese Herausforderungen grundsätzlich gleichermaßen adressieren. Dazu bedarf es aber einer zweckgemäßen Ausgestaltung. Ein pauschales „Pickerl-System“ – also eine lediglich zeit-, jedoch nicht fahrleistungsabhängige Maut – wie die letztlich gescheiterte „Ausländermaut“ kann im besten Falle einen Finanzierungsbeitrag leisten, aber den anderen Herausforderungen der Verkehrspolitik nicht gerecht werden. Ein fahrleistungsabhängiges, differenziertes und auf allen Straßen angewendetes Maut-System kann hingegen

  • Anreize zu einer Reduktion von CO2- und Schadstoff-Emissionen setzen,
  • die Auslastung bestehender Kapazitäten der Verkehrsinfrastruktur effizienter steuern
  • und überdies eine stabile und verursachungsgerechte Infrastrukturfinanzierung gewährleisten.

Zielbild einer intelligenten Pkw-Maut ist die Bepreisung der Straßennutzung gemäß einer  verursachungsgerechten volkswirtschaftlichen Kostenanlastung nach tatsächlichem Nutzungsumfang und Beanspruchung der Verkehrsinfrastruktur sowie der verursachten externen Kosten. Hierdurch würde sich zunächst einmal die Zahl der gefahrenen Kilometer und die damit einhergehenden Umweltbelastungen verringern. Es werden Anreize zur Vermeidung unnötiger Fahrten und zu einer erhöhten Fahrzeugauslastung sowie zur Verlagerung auf umweltverträglichere Verkehrsträger gesetzt. Finden bei der Bemessung der Mauthöhe auch Umwelteigenschaften des jeweiligen Fahrzeugs Berücksichtigung, können darüber hinaus Anreize zur Flottenmodernisierung und zur Wahl effizienterer Fahrzeuge gesetzt werden.

Durch zeit- und ortsvariable Mautsätze können deutlich spezifischere Knappheitssignale gesendet und so definierte Qualitätsziele leichter erreicht werden. Sie ermöglichen eine Optimierung des Verkehrsflusses. Verkehrsströme werden durch Preissignale so gelenkt, dass räumliche und zeitliche Engpasssituationen möglichst vermieden werden. Die bessere Auslastungssteuerung geht mit einem geringeren Straßen-Ausbaubedarf und überdies einer verbesserten Planungssicherheit für die Straßennutzer – gerade für die Logistikbranche – einher. In besonderem Maße könnten die Innenstädte von einer Entzerrung und verminderten Staubelastung mit all ihren negativen Nebenwirkungen profitieren. Ferner können besonders sensible Bereiche (bspw. dicht bebaute Wohngebiete) gezielter von negativen Auswirkungen des Verkehrs entlastet werden.

Die Infrastruktur-Finanzierung über die Einnahmen aus einer fahrleistungsabhängigen Maut ist weitgehend robust gegenüber einer Veränderung der Energieträgerbasis im Verkehr, die mit zurückgehenden Energie- und Kfz-Steuereinnahmen einhergeht. Zudem wird die Finanzierung stärker von haushaltspolitischen Entscheidungen entkoppelt, was in Zeiten zunehmender Budgetrestriktionen die Planungssicherheit verbessert. Die Einnahmenverwendung sollte dem Leitbild eines ökologisch, ökonomisch und sozial nachhaltigem Verkehrssystems folgen. Eine Verengung auf „Straße finanziert Straße“ bei der Neugestaltung der Finanzierungsgrundlagen kann dies nicht gewährleisten. Stattdessen sollte gelten, dass die Einnahmen nicht ausschließlich dem Straßenbau zufließen, sondern der Sicherung nachhaltiger Mobilität für alle dienen.

Ausgestaltungsoptionen

Wie bereits angedeutet, kann die Höhe der Mautsätze räumlich, zeitlich und sächlich differenziert werden. Je umfassender und differenzierter die Ausgestaltung des Maut-Systems, desto größer sind seine potenzielle Wirksamkeit, Zielgenauigkeit und die damit (theoretisch) erzielbaren Wohlfahrtsgewinne. Differenziert werden könnten die Mautsätze beispielsweise nach:

  • Ort (ländliche oder Wohngegend; örtliche Verkehrsdichte) und Straßentyp (Autobahn, Landstraße, etc.): dient der Verkehrsflussoptimierung, Berücksichtigung unterschiedlicher Wegekosten, gesundheitspolitischen Zielen (Belastungsreduktion der Wohnbevölkerung),
  • Zeit (höhere Sätze zu Peak-Zeiten und – in Wohngegenden – in der Nacht): dient der Verkehrsflussoptimierung und gesundheitspolitischen Zielen,
  • CO2-Ausstoß: dient der Treibhausgasminderung,
  • Schadstoffausstoß: dient umwelt- und gesundheitspolitischen Zielen,
  • nach weiteren Fahrzeugeigenschaften, insbesondere:
    • Gewicht (zur Berücksichtigung externer Unfallrisiken und der spezifischen Straßenabnutzung),
    • Größe bzw. Fahrzeugfläche (zur Berücksichtigung der Inanspruchnahme von Straßen- bzw. Parkraumfläche),
    • Energieverbrauch (zur Adressierung von Energieeffizienzzielen und Umweltbelastungen der Energiebereitstellung),
    • Antriebstechnologie (zur Verfolgung innovationspolitischer Ziele.

Darüber hinaus wäre es möglich, bestimmten Nutzergruppen Sonderkonditionen bzw. -rechte gzu gewähren, beispielsweise Nutzerinnen und Nutzern mit körperlichen Einschränkungen oder mit dem ÖPNV kooperierende Mobilitätsdienstleister. Dies kann zur Steigerung der Akzeptanz einer Pkw-Maut führen sowie der Förderung umweltverträglicherer, multimodaler Mobilitätslösungen dienen. So könnten beispielsweise für Zubringerfahrten zum ÖPNV niedrigere Mautsätze gelten. Auch wäre es denkbar, solche Wege niedriger zu bemauten, auf denen bisher keine attraktive Alternative zum Pkw besteht, während in gut mit dem öffentlichen Verkehr erschlossenen Räumen höhere Mautsätze anfallen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass die Entwicklung innovativer Mobilitätsdienste jenseits des eigenen Pkw nicht gehemmt werden sollte.

Während eine Vielzahl von Mautbemessungsparametern grundsätzlich denkbar ist, lässt sich die Maut in der Realität aber nicht nach Belieben ausdifferenzieren. Zum einen bestehen Wechselwirkungen und Konkurrenzen mit anderen verkehrspolitischen Instrumenten, mit denen sich bestimmte Ziele möglicherweise effektiver und effizienter erreichen lassen. Beispielhaft sei hier die Frage nach der geeignetsten Option zur Bepreisung des Treibhausgas-Ausstoßes genannt, die mittels Maut oder mittels Energiesteuern bzw. CO2-Emissionshandel erfolgen kann.  Zum anderen sind praktische und rechtliche Restriktionen zu beachten, wie nachfolgend knapp skizziert.

Trade-Offs zwischen Lenkungswirkung und Komplexität        

Ein sehr ausdifferenziertes System mit diversen Mautparametern erlaubt zwar einerseits – in der Theorie – eine relativ genaue Steuerung der Verkehrsflüsse und auch der Umweltwirkungen des Verkehrs. Andererseits steigt mit der Zahl der Steuerungsvariablen auch die Komplexität des Systems. Dies bedeutet tendenziell:

  • höhere Erhebungskosten,
  • größere datenschutzrechtliche Herausforderungen,
  • geringere Nachvollziehbarkeit (und dadurch geringere Akzeptanz) aus Nutzersicht,
  • größere Governance-Herausforderungen,
  • eine langwierigere Implementierung.

Zunächst gilt es, die Trade-Offs zwischen den mit einem hohen Differenzierungsgrad erzielbaren Lenkungserfolgen und den damit einhergehenden Umsetzungsschwierigkeiten genauer zu beleuchten. Darauf aufbauend kann dann eine Eingrenzung auf Ausgestaltungsoptionen erfolgen, die einen möglichst hohen „Netto-Nutzen“ des Maut-Systems versprechen.

Eine entscheidende Rolle für die volkswirtschaftliche Beurteilung eines ausdifferenzierten, fahrleistungsabhängigen Pkw-Maut-Systems spielen dessen Erhebungskosten. Frühere Betrachtungen kamen zu dem Ergebnis, dass die Wohlfahrtsgewinne, die durch die Internalisierung externer Kosten mittels einer Maut erzielt werden können, durch die hohen Erhebungskosten weitgehend neutralisiert bzw. sogar überkompensiert werden. Den Kostenschätzungen lagen allerdings meist Erhebungssysteme zugrunde, die nicht mehr dem heutigen Stand der Technik entsprechen.

Diesen eher skeptischen Blick auf das Kosten-Nutzen-Verhältnis gilt es mit Blick auf die rapiden Entwicklungen bei der (Fahrzeug-)Digitalisierung und Konnektivität daher kritisch zu hinterfragen. Es ist anzunehmen, dass die Erhebungskosten hierdurch inzwischen deutlich gesunken sind. So dürften satelliten- und mobilfunkgestützte Mauterhebungssysteme durch den technischen Fortschritt der letzten Jahre erheblich günstiger zu betreiben sein als noch vor einigen Jahren. Allerdings zeigt sich, dass diesbezüglich noch erhebliche Wissenslücken bzw. Unsicherheiten bestehen. Dieses Defizit sollte schnell durch vertiefende Forschungsaufträge adressiert werden. Die Entscheidung über das Ob und Wie einer Pkw-Maut sollte schließlich auf einer möglichst fundierten Wissensbasis erfolgen.

Akzeptanz (und Rechtssicherheit) wird ein differenziertes, fahrleistungsabhängiges Maut-System überdies nur dann finden, wenn ein hinreichend hohes Maß an Datenschutz gewährleistet ist. Es sollten nur jene Daten erhoben werden, die unmittelbar für die Mautberechnung benötigt werden, und die Speicherdauer der Daten sollte auf ein Minimum begrenzt werden.

Fragen der föderalen Governance

In einem umfassenden, d.h. alle Straßentypen und ggf. den ruhenden Verkehr einschließenden, Maut-System werden die Belange und Kompetenzen verschiedener föderaler Ebenen berührt. Diese haben jeweils spezifische Regulierungsbedürfnisse und Anforderungen an das Maut-System sowie unterschiedliche Steuerungskapazitäten. Eine anspruchsvolle Aufgabe bei der Gestaltung eines Maut-Systems wird es deshalb sein, ein möglichst reibungsarmes und den verschiedenen Interessenlagen gerecht werdendes Zusammenwirken der verschiedenen föderalen Ebenen (Bund, Länder, Kommunen, EU) zu ermöglichen, u.a. hinsichtlich

  • Ausgestaltungs- und Steuerungskompetenzen,
  • Einnahmenverwaltung und –verteilung,
  • Datenverarbeitung und Datennutzungsrechte.

Da bisher noch keinerlei Erfahrungen mit einem derart umfassenden Maut-System vorliegen, weder national noch international, besteht auch hier noch erheblicher Klärungsbedarf, der sehr zügig anzugehen ist.

Fokus Kommunen: Berücksichtigung kommunaler Belange im Maut-System

Sowohl mit Blick auf Themen wie Schadstoff- und Lärmbelastung als auch überlastete Straßeninfrastruktur und die gerechte Verteilung knappen öffentlichen Raums sind die Kommunen zentrale Akteure. Es stellt sich mithin die Frage, wie kommunale Belange angemessen in einem neuen Maut-System berücksichtigt werden können.

Dies betrifft beispielsweise auch eine mögliche Einbindung des ruhenden Verkehrs in das System, durch ein integriertes Parkraummanagement. Die durch die Digitalisierung entstandenen Potenziale für ein fortschrittliches Parkraummanagement werden bislang weder bei der Gebührenerhebung noch bei der Parkraumüberwachung umfassend ausgeschöpft. Ein geringes Gebührenniveau – zusammen mit der niedrigen Kontrolldichte – schmälern die potenziell erreichbaren Steuerungseffekte des Parkraummanagements. Bei einer Integration von Parkgebühren in das Maut-System sollte den Kommunen ausreichender Gestaltungsspielraum zugestanden werden, um ihren jeweiligen spezifischen Anforderungen Rechnung zu tragen. Dabei ist aber auch gleichzeitig die Handhabbarkeit des Systems im Auge zu behalten.

Die Einführung von City-Maut-Systemen, um gezielt kommunale Verkehrsprobleme zu adressieren, wird derzeit intensiv diskutiert. Der konkrete Nutzen einer erhöhten und ggf. weiter ausdifferenzierten Nutzungsgebühr für hochfrequentierte  (innerstädtische) Straßen wird stark von lokalen Gegebenheiten abhängen, wodurch pauschale Aussagen über die Sinnhaftigkeit einer City-Maut schwer zu treffen sind.

Mit Blick auf die technische Umsetzung erscheint es aber in jedem Fall sinnvollerweise anzustreben, ein gemeinsames, übergreifendes Mautsystem zu etablieren, das die Berücksichtigung spezifischer kommunaler Belange ermöglicht – und ein Nebeneinander miteinander inkompatibler Systeme zu verhindern.

Notwendigkeit einer zügigen politischen Pfadentscheidung

Die Grundsatzentscheidung für eine fahrleistungsabhängige und nicht zuletzt an ökologischen Zielen ausgerichtete Pkw-Maut muss bereits im nächsten Koalitionsvertrag verankert sein. Die konkrete Konzeptentwicklung und Umsetzung müssen anschließend mit hoher Priorität vorangetrieben werden. Ausgestaltungsfragen unter Abwägung von Lenkungswirkung, Datenschutz und Erhebungskosten sind zügig zu klären. Vorbereitende Forschungsarbeiten sollten bereits sehr kurzfristig – möglichst noch in dieser Legislaturperiode – angegangen werden.

Die Konzeption einer Pkw-Maut sollte eingebettet werden in eine Diskussion darüber, wie ein zukunftsfähiges Verkehrssystem für Deutschland insgesamt aussieht und wie der dazu notwendige Instrumentenmix auszugestalten ist, sodass eine konsistente Gesamtstrategie entwickelt werden kann. Die Einbettung der Maut ins klima- und verkehrspolitische Instrumentenportfolio bestimmt wiederum auch die geeignete Ausgestaltung des Systems maßgeblich mit. Hier sei noch einmal an das obige Beispiel zur Frage nach der besten Option zur CO2-Bepreisung erinnert. Bei der Konzeptentwicklung ist zudem der Aspekt einer möglichst hohen Interoperabilität innerhalb der EU zu berücksichtigen. Eine hohe Kompatibilität ist sowohl mit Blick auf realisierbare Kostendegressionspotenziale als auch eine harmonisierte europäische Klimastrategie für den Verkehrssektor erstrebenswert.

Ziel sollte sein, dass ein ökologisch, verkehrspolitisch und ökonomisch nachhaltiges Pkw-Maut-System bis Mitte der 2020er zur Umsetzung kommt. Gelingt dies, kann eine solche intelligente Maut zu einem innovativen Digitalisierungsprojekt mit internationaler Strahlkraft werden. Gelingt dies hingegen nicht, wird es nur schwer gelingen, die anfangs aufgezeigten Herausforderungen der Verkehrspolitik gut zu meistern.

Agora Verkehrswende plant, mit der Beauftragung einer Studie – neben der Beantwortung der Frage nach der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit einer Pkw-Maut – explorative Vorarbeiten zur konkreten Ausgestaltung eines Maut-Systems für Deutschland zu leisten sowie einen Fahrplan für dessen Umsetzung zu skizzieren. Ziel des Projekts ist dabei explizit auch die Identifizierung von Wissenslücken und Forschungsbedarfen, die zügig zu adressieren sind, um eine intelligente Pkw-Maut für Deutschland schnellstmöglich auf den Weg bringen zu können.

Ein Standpunkt von Carl-Friedrich Elmer zum gleichen Thema ist am 19.10.2020 erschienen im Tagesspiegel Background Verkehr & Smart Mobility: https://background.tagesspiegel.de/mobilitaet/die-maut-ist-tot-es-lebe-die-maut

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