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Fanny Tausendteufel
Projektleiterin Industriepolitik
Rallye nach Paris: Autoindustrie fährt noch mit angezogener Handbremse
Die deutschen Automobilhersteller und -zulieferer bekennen sich zum Pariser Klimaabkommen. Doch ein genauer Blick auf die Umsetzung zeigt noch manche Schwachstellen.
Klimaschutz ist entscheidend für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen, auch und gerade in der Automobilbranche. Das zeigt sich vor allem an drei Faktoren:
- Erstens ist mit wesentlich ambitionierterer Klimapolitik zu rechnen. Die größten Wirtschaftsmächte weltweit haben sich Klimaneutralitätsziele gesetzt. Neben der EU, den USA und China hat sich bei der Klimakonferenz 2021 in Glasgow auch Indien eingereiht und angekündigt, bis spätestens 2070 klimaneutral zu werden. Für deutsche Automobilhersteller schwinden damit die Chancen, Verbrennerfahrzeuge abzusetzen. Rund 60 Prozent des deutschen Pkw-Exports gehen mittlerweile in Länder und Regionen, in denen ab 2035 keine Benziner und Diesel mehr neu zugelassen werden sollen; spätestens 2040 sind es wahrscheinlich schon 80 Prozent.
- Zweitens spielt Klimaschutz auch zunehmend eine Rolle für die gesellschaftliche Akzeptanz von Unternehmen. Er avanciert zu einem zentralen Wert, den die Zivilgesellschaft von den Unternehmen einfordert. Halten sie sich nicht daran, drohen Imageschäden und Proteste.
- Drittens ist Klimaschutz für Unternehmen wichtig, um sich ihre Finanzierung zu sichern. Investoren und Finanzmärkte erhöhen den Druck auf Unternehmen, Klimaschutz zu betreiben. Auch die Regulatorik zieht nach: In der EU ist zu Beginn des Jahres die Taxonomie-Verordnung in Kraft getreten. Sie gibt ein Klassifizierungssystem vor, um die Nachhaltigkeit von Investments zu beurteilen. Für Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein wollen, führt also kein Weg am Klimaschutz vorbei.
Unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine wird der Handlungsdruck wahrscheinlich noch größer. Aus sicherheitspolitischen Gründen wächst in Regierungen und Gesellschaften das Interesse, unabhängiger von Ölimporten zu werden. Dazu passen Strategien, die auf erneuerbaren Strom und klimafreundliche Verkehrsmittel setzen. Entsprechend werden auch Investoren noch mehr Wert auf ökologisch nachhaltige Geschäftsmodelle legen.
Viele Unternehmen haben dies erkannt und bekennen sich deshalb zum Klimaschutz. Vor allem bei international agierenden Unternehmen, die nicht einer einzelnen nationalen Regulierung unterworfen sind, liegt der Bezug auf das Pariser Klimaabkommen nahe. Mit dem Pariser Klimaabkommen hat sich 2015 die internationale Staatengemeinschaft dazu verpflichtet, die globale Klimaerwärmung auf 2 beziehungsweise möglichst 1,5 Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter zu begrenzen. Sämtliche großen deutschen Hersteller – Volkswagen, BMW und Daimler – bekennen sich zum Pariser Klimaschutzabkommen, genauso die größten deutschen Zulieferer – Bosch, Continental und ZF. Das ist ein gutes Zeichen.
Reichweite der CO2-Ziele
Doch was genau hinter diesen Zusagen steckt, ist schwer zu durchschauen: für Politik und Investoren genauso wie für die Öffentlichkeit. Es fehlen einheitliche Definitionen, Standards und Prüfverfahren. Ein zentrales Kriterium für den Kurs auf Paris ist die Reduzierung der CO2-Emissionen. Hersteller und Zulieferer geben CO2-Minderungsziele und bisherige Emissionen allerdings so unterschiedlich an, dass eine Auswertung und insbesondere ein Vergleich der Unternehmen kaum oder nur mit hohem Aufwand möglich wären.
Was dennoch deutlich wird: Nicht alle Unternehmen berücksichtigen ihre CO2-Emissionen im selben Umfang. Sie betrachten zwar in der Regel Emissionen, die in den eigenen Werken und durch deren Energiebezug entstehen. Doch CO2-Emissionen, die in der restlichen Wertschöpfungskette entstehen, werden nur sehr begrenzt berücksichtigt. Dabei sind gerade diese CO2-Emissionen entscheidend: Die nachgelagerten Emissionen der Fahrzeugnutzung machen sowohl bei den Herstellern als auch bei den Zulieferern in der Regel mehr als 70 Prozent der gesamten Emissionen aus; die vorgelagerten der Lieferkette mindestens 10 Prozent.
Validierung der CO2-Ziele
Selbst wenn die Angaben zu den CO2-Emissionen einheitlich wären, müssten sie überprüft und anhand von Klimaszenarien eingeordnet werden. Das ist jedoch keine triviale Aufgabe. Sie erfordert nicht nur wissenschaftliche Arbeit, sondern auch ethische Entscheidungen, etwa im Hinblick darauf, welche zukünftigen CO2-Emissionen Unternehmen zugestanden werden.
Ein Ansatz, die Reduktionsziele von Unternehmen zu validieren, ist der SBTi-Standard (Science Based Targets Initiative). Die Kooperation von Carbon Disclosure Project, UN Global Compact, World Resources Institute und WWF stellt Unternehmen Methoden zur Verfügung, um Ziele zur Treibhausgasminderung zu entwickeln, die konsistent mit dem Pariser Klimaziel sind. Die großen deutschen Unternehmen haben fast alle zumindest einen Teil ihrer Ziele von der SBTi validieren lassen, setzen sich dabei aber unterschiedlich ehrgeizige Ziele. Mal zielen sie nur auf „deutlich unter 2 Grad“ ab, mal schon auf 1,5 Grad oder in Einzelfällen sogar auf noch mehr.
Umstellung auf Elektromobilität
Ein weiteres Kriterium für den Klimaschutz ist, wie ambitioniert Hersteller und Zulieferer den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor planen. Die Frage, ob ein Unternehmen beispielsweise weiterhin viel Geld in die Entwicklung von Verbrennungsmotoren steckt, sagt letztlich mehr aus als die CO2-Emissionen, die durch den Strombezug verursacht werden.
Die Elektrifizierung des Produktportfolios ist nicht nur notwendig, weil immer mehr Länder in naher Zukunft keine Verbrennerfahrzeuge mehr zulassen wollen, sondern auch weil Elektromobilität entscheidend für die Einhaltung des Pariser Klimaabkommens ist. Bereits beim aktuellen deutschen Strommix haben Elektrofahrzeuge durchschnittlich im Vergleich zu Verbrennern über den gesamten Lebenszyklus hinweg einen Vorteil fürs Klima. Mit dem weiteren Ausbau der erneuerbaren Energien wird dieser Vorteil weiter zunehmen.
Auch hier fällt die Bilanz gemischt aus: Elektromobilität wird zwar zunehmend als relevanter Markt erkannt, doch nicht alle Hersteller und Zulieferer passen ihr Geschäftsmodell gleichermaßen entschlossen an. Sie zögern, sich auf ein konkretes Enddatum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor festzulegen. Manche Unternehmen propagieren teilweise stark Technologieoffenheit. Das heißt, dass sie neben dem elektrischen Antrieb noch an Verbrennungsmotoren festhalten, weil diese, so das Argument, auch mit synthetischen Kraftstoffen betrieben werden könnten – obwohl Klimaneutralitätsszenarien zeigen, dass synthetische Energieträger nur dort zum Einsatz kommen werden, wo es keine direktelektrische Alternative gibt, also etwa im Flug- und Schiffsverkehr oder in Teilen der Industrie.
Handbremse lösen
Bei allen drei Kriterien – Reichweite der CO2-Ziele, Validierung der CO2-Ziele, Umstellung auf Elektromobilität – zeigt sich also: Die großen Automobilunternehmen in Deutschland haben Paris als Ziel vor Augen, doch die Handbremse ist oft noch angezogen. Dabei könnten die Unternehmen sich mit hohen Klimaschutzambitionen absichern gegen die im Moment noch nicht klar absehbare Ausgestaltung der politischen Rahmenbedingungen für den Klimaschutz. Das gilt insbesondere für international ausgerichtete Unternehmen. Mit einem ambitionierten Klimaschutzkurs können sie sich selbst einen einheitlichen Standard setzen und die Synergiepotenziale multinationaler Unternehmen nutzen, anstatt länderspezifische Strategien und Produkte entwickeln zu müssen.
Damit Unternehmen in der Rallye nach Paris die Handbremse lösen, sind offenbar weitere Initiativen notwendig. Investoren sollten weiter auf überzeugende Klimaschutzstrategien drängen, denn nur so können sie ihre Investitionen mittel- bis langfristig absichern. Dafür braucht es einen allgemein anerkannten Standard, wie Klimaschutz von Unternehmen bewertet werden kann. Gleichzeitig steht die Politik in der Pflicht, mit klaren Rahmenbedingungen den Kurs in Richtung Klimaneutralität vorzugeben und Planungssicherheit zu schaffen. Das Beispiel der europäischen CO2-Flottengrenzwerte hat gezeigt, dass die Hersteller sich gut auf solche Vorgaben einstellen können. Für die Bilanzzeit 2020/2021 legten sie alle eine Punktlandung hin. Bisher konnte sich die Bundesregierung jedoch nicht dazu durchringen, sich für eine Verschärfung der Flottengrenzwerte starkzumachen, die über den Vorschlag der EU-Kommission hinausgeht. Wenn die Politik es versäumt, solche zentralen Instrumente mit der für das Erreichen der Klimaziele angebrachten Schärfe einzusetzen, schwächt das am Ende die Unternehmen in der Transformation und gefährdet deren Wettbewerbsfähigkeit.
Eine Analyse der Klimaziele deutscher Automobilhersteller (Volkswagen, BMW, Daimler) und Zulieferer (Bosch, Continental, ZF) bietet das Papier „Wie weit ist die deutsche Automobilindustrie auf dem Weg nach Paris?“. Diese Analyse ist ein erster Aufschlag. Weitere Untersuchungen werden folgen.
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