Fachkräfte gezielt für die Radverkehrsplanung einsetzen
Ein schneller Ausbau von Radwegen scheitert oft an knappem Personal. Durch Aufgabenteilung und Digitalisierung können Radverkehrsplaner:innen entlastet und ihre Kapazitäten besser genutzt werden.
Von Wolfgang Aichinger (Agora Verkehrswende) und Thomas Stein (Difu)
Personalmangel ist eine zentrale Herausforderung für kommunale Verwaltungen – das gilt auch bei der Radverkehrsförderung. Für die Planung und Umsetzung von Radverkehrsinfrastruktur werden vor allem Ingenieur:innen gebraucht. Die sind am Arbeitsmarkt gefragt und für Kommunen nicht immer leicht zu gewinnen. Umso schwerer wiegt, dass Planer:innen bei ihrer Arbeit in den Kommunen viel Zeit auf andere Aufgaben verwenden müssen, die dann für die Hauptaufgabe Radwegeplanung fehlt. Es lohnt sich daher zu prüfen, wie diese Aufgaben anders bewältig oder delegiert werden können.
Für Agora Verkehrswende hat das Deutsche Institut für Urbanistik Verkehrsverwaltungen Fachkräfte in Hannover, Bonn und eine weitere Kommune mit ca. 150.000 Einwohner:innen nach Arbeitsaufgaben und Zeitaufwänden im Bereich der Radverkehrsplanung befragt. Außerdem hat das Institut Lösungsbeispiele aus verschiedenen Städten zusammengetragen, die zeigen, wie Fachkräfte entlastet sowie Arbeitsprozesse oder Kommunikation verbessert werden können.
Drei Städte – ähnliche Problemlagen
In den drei untersuchten Städten wird ein Anteil von 55 bis rund 75 Prozent der Arbeitszeit der Radverkehrsplaner:innen durch Aufgaben gebunden, die nicht originär dem Ausbau des Radwegenetzes dienen, obwohl dieser in allen Städten beschlossen wurde und politische Priorität haben soll. Neben der zeitaufwändigsten Aufgabe „Anfragen aus Politik und Bürgerschaft“ bieten insbesondere Tätigkeiten in der Kategorie „weiteren Aufgaben“ – etwa Beteiligungsformate, Abstimmungsprozesse oder Ausschreibungen – Potenzial zur Verbesserung.
- Anfragen aus Bevölkerung, Politik und von Medien kosten viel Zeit
Kommunale Verwaltungen erhalten viele Anfragen von Bürger:innen, Medien, Verbänden oder aus der Politik. Das Bedürfnis nach Information und Mitbestimmung ist verständlich, kostet aber viel Zeit. Denn wenn es ihre Arbeit betrifft, sind Radverkehrsplaner:innen an der Beantwortung der Anfragen beteiligt. Neben einer steigenden Zahl von Anfragen[1][2] macht ihnen dabei oft ein ineffizientes Wissensmanagement innerhalb der Verwaltung zu schaffen. Möglichkeiten der Digitalisierung werden nicht genutzt und Informationen müssen zum Teil aufwändig aus dezentralen Excel-Listen zusammengetragen werden. In den befragten Kommunen nehmen diese Aufgaben zwischen 19 und 30 Prozent der Arbeitszeit der Planer:innen in Anspruch. Ein Beispiel: In der Stadt Heidelberg muss das Amt für Mobilität neben Telefonanrufen und Briefen jährlich bis zu 25.000 E-Mails beantworten, darunter viele Anliegen und Ideen aus der Bürgerschaft[3].
- Kein Personal für Kommunikation und Beteiligung
Beteiligungsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit sind wichtige Aufgaben bei Radverkehrsprojekten. Neben der inhaltlichen Vorbereitung fallen dabei organisatorische Aufgaben an, etwa für Konzept, Veranstaltungsort oder Informationsmaterial. In der Praxis übernehmen oft Radverkehrsingenieur:innen diese Aufgaben und verlieren Zeit für die Planung von Radwegen. Gleichzeitig fehlt es an professionellem Know-how für überzeugende und zielgruppengerechte Veranstaltungen und Formate.
- Komplexe Fördermitteladministration
Fördermittel von Bund und Ländern sind wichtige Finanzierungsbausteine für Radinfrastrukturmaßnahmen. Der teilweise hohe administrative Aufwand erfordert jedoch viele Personalstunden, die je nach Kommune auch von Planer:innen geleistet werden müssen. Auch in diesem Fall kann professionell ausgebildetes Personal diese nicht nur entlasten, sondern die Fördermittelbeschaffung und -verwaltung verbessern.
Lösungsansätze für einen effektiveren Personaleinsatz
Die Problemlagen ähneln sich vielerorts – wenngleich die Dringlichkeit sich von Fall zu Fall unterscheidet. Wird beispielsweise ein Radweg nur aus Haushaltsmitteln finanziert und ohne, dass dafür Parkplätze wegfallen, verringert sich der Aufwand bei Fördermitteln und Öffentlichkeitsarbeit im Vergleich zu konfliktträchtigen Maßnahmen, die aus Fördermitteln finanziert werden.
Klar ist außerdem, dass zur Arbeit von Planungspersonal auch künftig die Beantwortung von Fragen aus Politik und Bürgerschaft zählen werden – denn im Zweifel haben nur sie das nötige Fachwissen. Auch interne Abstimmungen, Stellungnahmen zu anderen kommunalen Planungen oder die Mitarbeit an Beteiligungsveranstaltungen werden bis zu einem gewissen Grad notwendige Tätigkeiten von Planer:innen bleiben.
Dennoch ist der effektivere Einsatz von Fachkräften eine zentrale Stellschraube, um dem Personalmangel zu begegnen. Statt zu 30 Prozent Planungsaufgaben und zu 70 Prozent andere Tätigkeiten zu übernehmen (vgl. Bonn und dritte Beispielstadt) sollte dieses Verhältnis umgekehrt sein.
Die drei befragten Städte und viele weitere Kommunalverwaltungen haben die beschriebenen Problemlagen erkannt und arbeiten an Lösungen. Dazu gehören:
- Arbeitsteilung durch spezialisierte und interdisziplinäre Teams,
- ein verbessertes, digital unterstütztes Daten- und Wissensmanagement,
- mehr Transparenz und Information nach außen sowie
- effektivere Arbeitsprozesse durch Projektarbeit und Projektmanagement anstelle von linearem oder sektoralem „Abarbeiten“.
1. Lösungsansatz: Aufgaben an Spezialist:innen vergeben
Verkehrsplanung ist heute mehr denn je ein konfliktträchtigtes und interdisziplinäres Thema, das weit über Straßenbau und verkehrstechnische Überlegungen hinausgeht. Neben dem drängenden Thema Klimaschutz spielt gerade in der Stadt die Verteilung knapper Flächen eine größere Rolle als früher. Kommunikation, Information und Beteiligung von Politik und Bevölkerung haben deshalb eine höhere Bedeutung. Zudem steigt der Aufwand für Projekt- und Fördermittelmanagement oder auch die Koordinierung innerhalb der Verwaltungen. Viele dieser Aufgaben erfordern nicht zwingend eine technische Ausbildung, sondern können auch mit anderen Kompetenzprofilen gut oder sogar besser abgedeckt werden.
- Neue Personalstellen für Spezialaufgaben (Bonn)
Die Stadt Bonn geht die identifizierten Flaschenhälse mit neuem Personal in spezialisierten Aufgabenbereichen an.
Zum einen wurde eine Koordinierungs- und Kommunikationsstelle für den Radverkehr geschaffen, die als Schnittstelle zu anderen Abteilungen und Ämtern fungiert. Die Stelle kann mit den Mitteln für unbesetzte Tiefbaustellen finanziert werden. Sie unterstützt Ingenieur:innen bei der internen Koordination, bei Abstimmungen und anderen Arbeitsprozessen.
Eine weitere Personalstelle unterstützt das Radverkehrs- und Mobilitätsteam bei der Beantwortung und Koordinierung von Anfragen aus der Bevölkerung, bei der Öffentlichkeitsarbeit und bei Stellungnahmen zu politischen Anträgen und Beschlüssen. Diese neuen Stellen sind erst vor wenigen Monaten geschaffen worden. Mit wachsender Routine dürfte die Entlastungswirkung sukzessive steigen.
Auch das Fördermittelmanagement wird seit einigen Jahren zentral von einer Person bearbeitet. Die hohe Anzahl an Maßnahmen und Förderprogrammen mitsamt ihren verschiedenen administrativen Anforderungen können so besser koordiniert, die Mittel effektiver eingesetzt und das Planungspersonal von Aufgaben entlastet werden.
- Abteilung Bürgerbeteiligung (Heidelberg)
In Heidelberg werden Know-How und Personalkapazitäten zu Bürgerbeteiligung in einer eigenen Abteilung gebündelt. Die Kernaufgaben des Teams Bürgerbeteiligung werden durch die Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg sichergestellt. Mit einer sogenannten Vorhabenliste, die gedruckt und digital veröffentlicht wird, informieren die Mitarbeiter:innen frühzeitig über alle geplanten Projekte der Stadt. Außerdem beraten und unterstützen sie Fachämter sowie Vorhabenträger bei der Entwicklung von Beteiligungskonzepten sowie Planung und Durchführung von Beteiligungsverfahren. Der Erfolg der Bürgerbeteiligung und der Heidelberger Leitlinien wird durch regelmäßige Evaluation sichergestellt.
2. Lösungsansatz: digitales und vernetztes Datenmanagement
Ein gutes internes Datenmanagement kann den Rechercheaufwand bei Anfragen aus Politik und Bürgerschaft reduzieren und das Planungspersonal entlasten.
- Datenmanagement durch Projektsteuerung (Hamburg)
In Hamburg übernimmt der Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) die Projektsteuerung zur Umsetzung der Maßnahmen des Bündnisses für den Fuß- und Radverkehr. In dieser Funktion bündeln die Mitarbeitenden neben Projektmanagementaufgaben verschiedene Informationen aus den Hamburger Bezirken zu Radverkehrsmaßnahmen wie Projektstand, Finanzierungsgrundlage oder Maßnahmenart. Diese Datengrundlage des LSBG entlastet das Planungspersonal in den Bezirken bei der alltäglichen Arbeit, die etwa bei kleinen Anfragen aus der Politik entsteht. Die zentrale Steuerung vereinfacht zum Beispiel Auskünfte darüber, wie viele Bäume oder Parkplätze von einer Maßnahme betroffen sind.
3. Lösungsansatz: Digitalisierung und proaktive Kommunikation
Neben einer effektiven Beantwortung versuchen Kommunen auch die Zahl der Anfragen zu verringern. Proaktive Information über Projektstände oder Planungsideen können Nachfragen aus der Öffentlichkeit überflüssig machen. Neben klassischen Informationsseiten oder Sachstands- und Fortschrittsberichten auf der kommunalen Homepage dienen dazu immer öfter GIS-basierte Informationsportale.
- Projektkarte der infraVelo (Berlin)
In Berlin stellt die landeseigene Radinfrastrukturgesellschaft infraVelo GmbH aktuelle Informationen zu Radverkehrsmaßnahmen auf einer digitalen Projektkarte dar. Neben der Verortung findet sich zu jeder Maßnahme eine Kurzbeschreibung mit Details zu Vorhabenträgerschaft, Zeitplanung, Umsetzungsstand und Projekttyp.
- Radentscheid-Jahresveranstaltung und Projektfortschritts-Video (Aachen)
Die Stadt Aachen informiert einmal im Jahr auf einer Veranstaltung über den Fortschritt bei der Umsetzung des „Radentscheid“-Beschlusses. Neben der Veranstaltung veröffentlicht sie ein hochwertig produziertes Video zu verschiedenen Projekten.
Die Umfrage in drei Kommunen zeigt: Auch wenn Radverkehrsplaner:innen vorhanden sind, können sich diese aufgrund zahlreicher anderer Aufgaben nicht ausreichend dem Radwegebau widmen. Damit bleibt eine entscheidende Ressource für die Verkehrswende zum Teil ungenutzt. Lösungsansätze lassen sich in einigen Kommunen finden. Hilfreich ist es zum Beispiel, Spezialaufgaben wie Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit nicht an die Radverkehrsplaner:innen zu vergeben, sondern an dafür geschulte Kräfte innerhalb der Verwaltung. Ein digitales Datenmanagement und eine regelmäßige Kommunikation über den Fortschritt des Radwegebaus können helfen, Anfragen aus Politik und Bürgerschaft zu vermeiden – oder schneller zu bearbeiten.
[1] https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/friedberg-ort28695/legt-anfrageritis-friedberger-verwaltung-lahm-12163438.html
[2] https://checkpoint.tagesspiegel.de/langmeldung/4leWrnPdBCDlMuyOEhs2d2;
[3] https://werdenktwas.de/2023/01/27/maengelmelder-pilotprojekt-in-heidelberg-gut-angelaufen/
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