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Spezialisiertes Projektmanagement
Projektmanagement ist ein wichtiger Hebel für effizientere Prozessabläufe in Kommunalverwaltungen. Dabei geht es im Kern um eine bessere Vorbereitung und Steuerung von Maßnahmen. Beispiele aus Berlin, Bielefeld und Hamburg zeigen, wie das die Radverkehrsplanung beschleunigen kann.
Kommunalverwaltungen sind geprägt von einer hierarchischen Organisation und kleinteiliger Aufgabenteilung. Dies soll unter anderem Rechtssicherheit, Nachvollziehbarkeit und Qualität in der Verwaltungsarbeit sicherstellen. Während diese Prozesse und Strukturen für viele Aufgabenbereiche adäquat und nützlich sind, stoßen sie bei der Radverkehrsförderung und dem damit einhergehenden komplexen und mitunter konfliktbeladenen Umbau des Straßenraums zunehmend an ihre Grenzen. Die bewährten Abstimmungsroutinen und Entscheidungsprozesse erscheinen vielfach als träge und ineffizient.
So findet die verwaltungsinterne Kommunikation zwischen zentralen Stellen oft erst spät oder auch gar nicht statt. Prozessschritte laufen eher hintereinander anstatt parallel ab. Häufig fehlt es an klaren Verantwortlichkeiten und Koordinierungsinstanzen für Planungsprozesse. Projekte geraten ins Stocken, Entscheidungen bleiben aus. Zudem erfordern die Aufgaben weit mehr als nur ingenieursspezifische Fähigkeiten. Personalkapazitäten fehlen oder werden nicht effektiv eingesetzt. Die Digitalisierung des Daten- und Wissensmanagements steht oft noch am Anfang. All diese Faktoren tragen dazu bei, dass Maßnahmen zur Radverkehrsförderung häufig nur langsam vorankommen oder auch scheitern.
Um die Radverkehrsplanung zu beschleunigen, bedarf es deshalb Alternativen zur klassischen Verwaltungsarbeit entlang von Linienhierarchien und fachlich-thematischen Silos. Auf der Ebene der verwaltungsinternen Arbeitsprozesse können Elemente von Projektmanagement hilfreich sein. Hierzu gibt es bereits verschiedenste Leitfäden[1] und Standards, die auf die Besonderheiten von Projektmanagement in der öffentlichen Verwaltung eingehen. Zudem gibt es in immer mehr Kommunen Verwaltungseinheiten, die die Themen Change- und Projektmanagement vorantrieben und verankern sollen[2]. Trotz grundsätzlicher Offenheit und Problembewusstsein ist Projektmanagement jedoch noch in keiner Kommune konsequent eingeführt.
Im Folgenden werden Beispiele von Projektarbeit zur Optimierung von Radverkehrsplanungsprozessen aus Berlin, Hamburg und Bielefeld erläutert. Alle drei Kommunen stehen dabei noch relativ am Anfang. Sie können erste positive Effekte verzeichnen, lernen gleichzeitig dazu und passen ihr Vorgehen stetig an.
Projekteinheit Radwege in Berlin
Die „Projekteinheit Radwege“ der Berliner Senatsverkehrsverwaltung unterstützt die Bezirke dabei, sichere Radfahrstreifen einzurichten und vorhandene Radwege zu verbreitern oder auch zu modernisieren.[3] Sie ist bei der obersten Straßenverkehrsbehörde angesiedelt und vereint neben rechtlichem Wissen und verkehrsrechtlicher Anordnungskompetenz gleichzeitig Know-how für die Planung von Verkehr, Radverkehr und Lichtsignalanlagen sowie für die Erstellung von Verkehrszeichenplänen. Damit sind zentrale Arbeitsschritte eng verzahnt. Zudem koordiniert die Projekteinheit den Prozess bis zur straßenverkehrsbehördlichen Anordnung.
Zentrale Arbeitsgrundlage ist neben der Straßenverkehrsordnung eine Rahmenvereinbarung mit den Berliner Bezirken, in der der „Prozess zu Fahrstreifenumwandlung“ und die Verantwortlichkeiten zwischen Senatsebene, Bezirken und der Infrastrukturgesellschaft InfraVelo festgehalten sind. Die Projekteinheit Radwege steht damit „für eine neue Kultur der Zusammenarbeit, die eine rasche Umsetzung zum Ziel hat“, wie es auf der Website von InfraVelo heißt. Im Ergebnis haben sich Planungszeiträume für Radverkehrsanlagen im Berliner Hauptstraßennetz um mehrere Monate verkürzt.[4]
Abbildung 1: Geschützter Radfahrstreifen auf ehemaligem Parkstreifen in der Müllerstraße in Berlin-Mitte als ein Ergebnis der Projekteinheit Radwege. Quelle: Taylan Kurt via Twitter
Projektstrukturen in Bielefeld
In Bielefeld zeigte sich in den vergangenen Jahren, dass die in Volumen und Komplexität wachsenden Maßnahmen im Verkehrsbereich mit bestehenden Arbeitsroutinen kaum mehr zu bewältigen sind. Neben dem Ruf nach mehr Personal wurde auch deutlich, dass erhebliche Effizienzgewinne in den Prozessen und Strukturen des Amtes für Verkehr liegen.
Ein Mittel, um diese zu realisieren, ist die Einführung von Projektstrukturen und -teams. Diese eignen sich für komplexe Maßnahmen, die einen höheren Abstimmungsbedarf über einen längeren Zeitraum haben, und ergänzen die bestehende Linienorganisation. Das Tagesgeschäft – also eher kleinteilige, wiederkehrende oder in sich abgeschlossene Routineaufgaben wie die Stellungnahme zu Bebauungsplanverfahren oder der Ausbau von ÖPNV-Haltestellen – verbleibt in der klassischen Linienstruktur.
Je nach Auftrag und Zielsetzung werden Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen in einem Projektteam gebündelt und der Prozess durch eine Projektleitung gesteuert (siehe Abbildungen 2 und 3). Hilfreich ist, dass alle im Radverkehr üblicherweise planungsrelevanten Disziplinen bereits im Amt für Verkehr verortet sind, wodurch eine einheitliche Ziel- und Prioritätensetzung erleichtert wird. Innerhalb der Projektstruktur wird gemeinsam und zeitgleich an einem Vorhaben gearbeitet. Eventuelle Änderungen können sofort in die Planung einfließen. Außerdem ist die Projektleitung gegenüber allen Mitgliedern des Projektteams weisungsbefugt, auch wenn diese aus unterschiedlichen Teilen des Amtes für Verkehr kommen.
Aktuelles Beispiel für die Projektarbeit ist die Fahrradstraße Ehlentruper Weg[5]. Die Fahrradstraße führt über 1,8 Kilometer durch Bielefelder Stadtgebiet und ist aufgrund umstrittener Maßnahmenbestandteile (Wegfall von Stellplätzen, Unterbindung von Kfz-Durchgangsverkehr) zunächst in einem mehrstufigen Verkehrsversuch erprobt worden. Für die Projektleitung ist eine Mitarbeiterin im Bereich „Operative Verkehrsplanung“ verantwortlich. Sie übernimmt die Steuerung der verschiedenen internen und externen Beteiligten und koordiniert insbesondere während der Verkehrsversuche die Evaluation sowie die Beteiligungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Die Projektleitung ist dabei vollständig aus dem Tagegeschäft herausgelöst und neben Projektarbeit nur zu einem geringen Anteil von zehn Prozent mit Kapazitäten für weitere Aufgaben (vor allem interne Organisation) ausgestattet. Dadurch wird der Projektfortschritt sichergestellt und Planungspersonalkapazitäten werden nicht durch Management-Aufgaben gebunden.Abbildung 2
Abbildung 3
Bündnis für den Rad- und Fußverkehr in HamburgIn Hamburg ist der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) mit der Steuerung und dem Controlling zur Umsetzung des „Bündnisses für den Rad-und Fußverkehr“ betraut. Aktuell sind drei Vollzeitstellen damit beschäftigt. Sie übernehmen das Berichtswesen, das Risikomanagement und das Kostencontrolling:
- Mit dem Berichtswesen werden laufende Maßnahmen der verschiedenen Realisierungsträger in Hamburg (Bezirke, Hamburg Port Authority, LSBG) entlang von Kennzahlen[6] nachgehalten. Daraus entsteht eine umfangreiche Datengrundlage, die der Verwaltung über ein stadteigenes Portal zur Verfügung steht. Auf dieser Basis können Maßnahmenbestandteile, der Projektfortschritt (siehe Abbildung 3) und die Kosten nachvollzogen werden. Das erleichtert auch die Beantwortung von Anfragen aus dem politischen Raum.
- Beim Risikomanagement steht die frühzeitige Identifizierung und wenn möglich Klärung von Projektverzögerungen im Zentrum. Als Teil der oben genannten Fortschrittsberichte werden etwaige Risiken[7] und deren Eintrittswahrscheinlichkeit und Schadensausmaß mit den beteiligten Realisierungsträgern wiederkehrend ermittelt und, sofern nötig und möglich, Klärungsmöglichkeiten gesucht.
- Beim Kostencontrolling werden zum einen jährliche Vereinbarungen zum Mittelabfluss für die kommenden Jahre getroffen und überprüft; zum anderen werden die geplanten Maßnahmen auf Passfähigkeit mit bestehenden Bundesförderprogrammen abgeglichen und die Realisierungsträger dazu beraten.
Abbildung 4
Das Projektcontrolling ist bereits eine wichtige Stütze für die Hamburger Radverkehrsförderung. Potenziale für eine Weiterentwicklung gibt es noch für ein einheitlicheres Datenmanagement, eine Verbesserung der Software sowie für eine stärkere und frühzeitigere Steuerung.Zusammenfassung
Die Erfahrungen aus den Kommunen zeigen die positiven Wirkungen, wenn sich spezialisierte Einheiten der Verwaltung bei der Radverkehrsplanung auf das Projektmanagement konzentrieren. Dadurch wird es möglich, bei immer mehr und komplexer werdenden Maßnahmen im öffentlichen Raum den Überblick zu behalten und die Umsetzung zu beschleunigen. Abstimmungsprozesse und Prozessverantwortlichkeiten werden dabei klar benannt und die vielfältigen verwaltungsinternen Koordinierungs-, Kommunikations- und Managementaufgaben besser durch die notwendigen Kompetenzen und Kapazitäten abgedeckt.
[1] https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/downloads/DE/veroeffentlichungen/themen/moderne-verwaltung/praxisleitfaden-projektmanagement.html.
[2] Einen Einblick in die Aufgaben, Potenziale und Herausforderungen einer solchen Einheit gibt das V-Büro Bremen im Blog der „Verwaltungsrebellen“: https://verwaltungsrebellen.de/v-buero-bremen/.
[3] Für das Berliner Hauptverkehrsstraßennetz ist die Senatsverwaltung für Planung und verkehrsrechtliche Anordnung verantwortlich. Die Berliner Bezirke bzw. die InfraVelo setzen anschließend baulich um. Der Prozess der Fahrstreifenumwandlung wurde aus dem Vorgehen der Berliner Pop-up-Radwege abgeleitet und in ein zügiges Verfahren zur dauerhaften Anordnung von Radverkehrsanlagen überführt.
[4] Weitere Information zur Projekteinheit: https://www.infravelo.de/projekte/radverkehrswege/projekteinheit-radwege/.
[5] https://fahrradstrasse-bi.de/.
[6] Schaffung/Wegfall Parkplätze und Fahrradbügel, Baumbestand, Kosten der Maßnahmen, Projektfortschritt, etc.
[7]Ein Beispiel: Hoher Personalmangel bei den Realisierungsträger führt zu Überbelastung, schlechter Datenlage, Druck usw.
Radverkehrsplanung beschleunigen
Mehr Radverkehr – das ist das Ziel in vielen Städten und Gemeinden. Doch mitunter dauert es sehr lange, bis Radwege und andere Infrastrukturen entstehen. Der Wunsch nach einer schnelleren Planung und Umsetzung ist weit verbreitet.
Gemeinsam mit dem Deutschen Institut für Urbanistik haben wir untersucht, wieso die zuständigen Verwaltungen oft nur langsam vorankommen. Die Gründe reichen von Personalmangel über langwierige rechtliche Abstimmungen mit den Straßenverkehrsbehörden bis zu Arbeitsverfahren, die viel Risiko für Verzögerungen bergen. Auch die Art der gewählten Infrastruktur entscheidet über das Tempo. So braucht die Anlage baulicher Radwege deutlich mehr Zeit, als etwa hochwertige Fahrradstraßen oder geschützte Radfahrstreifen einzurichten.
Das Deutsche Institut für Urbanistik hat im Städtevergleich einige wesentliche Stellschrauben für die Beschleunigung der Radverkehrsplanung identifiziert. Hilfreich sind etwa ein spezialisiertes Projektmanagement und die klare Zuständigkeitsverteilung zwischen Behörden. Davon berichten unter anderem Behörden in Bielefeld, Hamburg und Berlin. Gut strukturierte Prozesse helfen auch bei der schnelleren Umsetzung von Fahrradstraßen, wie etwa Hannover und Konstanz zeigen. Im Berliner Bezirk Mitte lassen sich beinahe wöchentlich Fortschritte bei neuen Fahrradstraßen beobachten. Für derartige Erfolge braucht es auch einen effektiveren Personaleinsatz. Unter anderem Hannover und Bonn geben Einblick in ihre Strategien, um knappe Fachkräfte vor allem für ihre Kernaufgabe – das Planen neuer Radinfrastruktur – einzusetzen.
Auch für die schnellere Umsetzung von Parkraummanagement hat das Deutsche Institut für Urbanistik Arbeitsprozesse in den Verwaltungen analysiert und Verbesserungsmöglichkeiten gefunden. Hier finden Sie die Ergebnisse.
Doch effiziente Planungen liegen nicht nur in der Hand der Kommunen. In beiden Bereichen braucht es ein zeitgemäßes Straßenverkehrsrecht, um Umweltschutz, Aufenthaltsqualität und Verkehrssicherheit bei der Verkehrsplanung mehr berücksichtigen zu können, unnötige Bürokratie abzubauen und die Radverkehrsförderung zu erleichtern. Ein aktueller Reformvorschlag zum Straßenverkehrsgesetz bietet dafür das Fundament. Eine Novelle der Straßenverkehrsordnung muss nun folgen.
Spezialisiertes Projektmanagement
So lassen sich Fahrradstraßen schnell realisieren
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So lassen sich Fahrradstraßen schnell realisieren
Klare politische Prioritäten und effiziente Planungs- und Abstimmungsprozesse sind entscheidend beim Ausbau von Radverkehrsnetzen. Ein Einblick in die kommunale Praxis von Hannover, Berlin-Mitte und Konstanz.
Laura Fritsche, Bezirksamt Berlin-Mitte
Von Wolfgang Aichinger (Agora Verkehrswende) und Thomas Stein (Difu)
Fahrradstraßen sind ein wichtiges Element für attraktive Radverkehrsnetze. Sie basieren vor allem auf Anordnungen der Straßenverkehrsbehörden und können in der Regel ohne oder mit nur geringem baulichen Aufwand zügig umgesetzt werden. Der Gewinn für die Sicherheit und den Komfort der Radfahrenden ist groß. In vielen Fällen sind Fahrradstraßen für Kommunen das Mittel der Wahl, weil sie im Gegensatz zu abgetrennten Radverkehrsanlagen Mischverkehr zulassen – und dadurch auch in schmaleren Straßen realisiert werden können. Anhand von Beispielen aus Hannover, Berlin-Mitte und Konstanz zeigen Agora Verkehrswende und das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu), wie Planung und Bau von Fahrradstraßen in der kommunalen Praxis ablaufen und worauf es bei einer schnellen Umsetzung ankommt.
Qualitätskriterien: Ein Schild macht noch keine FahrradstraßeFahrradstraße ist nicht gleich Fahrradstraße. Mit Blick auf die Praxis in Deutschland zeigt sich, dass ganz unterschiedliche Maßnahmen unter dem Begriff eingesetzt werden. In der Publikation „Fahrradstraßen – Leitfaden für die Praxis“ haben das Difu und die Bergische Universität Wuppertal 2021 systematisch Fahrradstraßen untersucht und Qualitätskriterien festgelegt. Demnach reicht die bloße Beschilderung einer Fahrradstraße nicht aus, um signifikante Verbesserungen im Sinne der objektiven und subjektiven Sicherheit für Radfahrende zu erreichen.[1]
Vielmehr gilt es, den Straßenraum so umzugestalten, dass der Vorrang für den Radverkehr deutlich wird, ein zügiges und angenehmes Vorankommen möglich ist und gleichzeitig typische Unfallgefahren wie Kreuzungssituationen oder das achtlose Öffnen von Fahrzeugtüren (Englisch: dooring) vermindert werden. Um dies zu erreichen, werden folgende Elemente kombiniert:
- deutliche Markierung der Fahrradstraße durch Bodenpiktogramme und flächige Markierungen mindestens an Konfliktpunkten sowie Sicherheitstrennstreifen zu Parkständen,
- Bevorrechtigung gegenüber einmündenden Straßen bei gleichzeitiger,
- Unterbindung des Kfz-Durchgangsverkehrs durch Kfz-Netzunterbrechungen mittels Diagonalsperren, modalen Filtern oder gegenläufigen Einbahnstraßen,
- breite Fahrgasse von zirka vier Metern, um Nebeneinanderfahren auch im Begegnungsfall zu ermöglichen, gegebenenfalls unter Wegfall von Parkständen.
Besonders die letzten beiden Punkte bergen hohes Konfliktpotenzial, da hierzu Beschränkungen für fahrende und parkende Kfz notwendig sind.
Das Beispiel Kettenhofweg aus Frankfurt am Main (Abbildung 1) zeigt, wie die genannten Elemente in der Praxis kombiniert werden, so dass eine vorbildliche Fahrradstraße entsteht.
Abbildung 1: Fahrradstraße Kettenhofweg in Frankfurt am Main mit den wesentlichen Qualitätsmerkmalen, Quelle: Philipp Böhme via qimby.net.
Umsetzung von Fahrradstraßen im Überblick
Für die folgende Beschreibung von Fahrradstraßen-Umsetzungsprozessen haben die Städte Hannover, Berlin-Mitte und Konstanz einen Einblick in ihre Verwaltungspraxis gegeben. Die Angaben aus Hannover und Berlin-Mitte beziehen sich auf kein konkretes Projekt, sondern geben eine übliche Bearbeitungsdauer im laufenden Verwaltungsbetrieb wieder. Für den Fall Konstanz stammen die Angaben von einem kürzlich fertiggestellten Projekt. In jedem Fall werden die oben genannten Qualitätskriterien in den Kommunen berücksichtigt.
Um die einzelnen Arbeitsschritte und Zeitansätze vergleichbar zu machen, wurden die Angaben vereinheitlicht und verdichtet. Die sich daraus ergebenden Einzelschritte werden im Folgenden kurz skizziert und anschließend mit den Zeitansätzen aus den drei Städten illustriert. Anschließend werden die kommunalen Beispiele verglichen sowie Brems- und Beschleunigungsfaktoren entlang des Umsetzungsprozesses dargelegt. Hier fließen auch Erkenntnisse aus Hintergrundgesprächen mit weiteren Kommunen ein, mit denen die Abläufe aus den Beispielkommunen reflektiert wurden.
- Vorbereitung: Wo eine Fahrradstraße umgesetzt wird, ergibt sich in den befragten Kommunen aus politisch beschlossenen Radverkehrskonzepten und -strategien[2] sowie den daraus abgeleiteten Radverkehrsnetzen. Auf dieser Basis ist es Kommunen seit der letzten Änderung der Straßenverkehrsordnung (StVO) möglich, Fahrradstraßen auch ohne Verkehrszahlenerhebung einzurichten. Sobald eine Straße für den Fahrradverkehr eine „hohe Netzbedeutung“[3] hat, kann sie als Fahrradstraße angeordnet werden. Insofern sind die konzeptionellen Grundlagen wichtige Vorbedingung für die Umsetzung. Zusammen mit der Priorisierung und Finanzierungssicherung (zum Beispiel über den Kommunalhaushalt und/oder Fördermittel) für die einzelnen Maßnahmen sind diese Schritte dem eigentlichen Umsetzungsprozess vorgeschaltet.
- Planung erarbeiten und abstimmen: Kernstück der Umsetzungsprozesse sind die Planungs- und Abstimmungsphasen. Hier werden die nötigen Maßnahmen für die Fahrradstraße festgelegt und mit verwaltungsinternen Akteuren, Trägern öffentlicher Belange (zum Beispiel: Feuerwehr, Polizei, ÖV-Betriebe usw.) und Anlieger:innen abgestimmt. Hier müssen verschiedene Anforderungen gegeneinander abgewogen und Flächenkonflikte, beispielsweise ums Kfz-Parken, gelöst werden. Je nachdem wie groß die Nutzungskonflikte, aber auch wie klar die politischen Vorgaben sind, kann dies ein zügiger oder langwieriger Prozess werden. In den befragten Kommunen können Planungen in wenigen Wochen oder Monaten abgeschlossen werden. Verwaltungsintern sind in den befragten Kommunen die Planungsabteilung und die Straßenverkehrsbehörde unmittelbar an der Planung beteiligt und in direktem Austausch. Im Falle von baulichen Anpassungen ist zusätzlich noch die Tiefbauabteilung involviert.
- Einbindung der Politik: In den befragten Kommunen sind die politischen Gremien vor dem Umsetzungsprozess eingebunden. Entweder gibt es, wie oben beschrieben, ein stadtweites, politisch beschlossenes Konzept oder im Einzelfall auch straßenspezifische Umsetzungsbeschlüsse. Die Rolle und Einbindung der kommunalpolitischen Gremien im laufenden Umsetzungsprozess werden in den Kommunen unterschiedlich definiert. Entweder findet sie a) gar nicht statt (Berlin-Mitte), b) die Gremien werden lediglich im Rahmen einer Frist informiert (Hannover) oder c) es braucht einen zusätzlichen Beschluss, um in die weitere Planung und Umsetzung zu gehen (Konstanz).
- Öffentlichkeitsarbeit: Die Einbeziehung von Anwohner:innen und Anlieger:innen hat in den hier berücksichtigten Umsetzungsprozessen der befragten Kommunen höchstens informatorischen Charakter. Nach finaler Planung und vor Beginn der Umsetzung werden Postwurfsendungen verteilt oder Infoschilder aufgestellt. In Berlin-Mitte gibt es zudem zu jeder Fahrradstraße eine sukzessiv aktualisierte Projektseite[4] und ein gemeinsames Anradeln bei Fertigstellung des Projekts. Hannover macht keine Öffentlichkeitsarbeit zur Umsetzung einer Fahrradstraße.
- Vergabeverfahren: Zwei der befragten Kommunen (Hannover und Konstanz) können für die Umsetzung der geplanten Maßnahmen auf eigene technische Betriebe beziehungsweise eine Rahmenvertragsfirma zugreifen. Damit ist keine gesonderte Vergabephase nötig. Im Vergleich dazu nimmt dieser Schritt in Berlin-Mitte im Idealfall nur mehrere Wochen in Anspruch; er kann je nach Auftragsvolumen und Auslastung der Baufirmen aber auch mehrere Monate dauern. Basis der Umsetzung ist ein abgestimmter Verkehrszeichenplan (Beispiel siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Ergebnis eines Abstimmungsprozesses: Verkehrszeichenplan zur Fahrradstraße Berlin Triftstraße. Mit Schildern, Pollern und Markierungen lassen sich Fahrradstraßen schnell realisieren.
- Umsetzung der Maßnahme: Die Umsetzung der Maßnahme ist im Idealfall der schnellste Teil des gesamten Umsetzungsprozesses. In einer Woche können zirka 100 Meter Fahrradstraße markiert und beschildert sowie Poller gesetzt werden. Bei der Umsetzung der Maßnahme hat das jahreszeitliche Timing einen starken Einfluss auf die Fertigstellung eines Fahrradstraßenprojekts. Üblicherweise kann nur zwischen Mai und Oktober markiert werden. Fällt die Beauftragung einer Firma beispielsweise in den November, kann sich je nach Witterungslage die Umsetzung entsprechend verzögern. Auch das interne Management der beauftragten Baufirmen kann zu Verzögerungen führen.
Beispiel Hannover: weitreichendes Prüf- und Handlungsschema
Die Landeshauptstadt Hannover hat auf Basis eines Verwaltungsgerichtsurteils zur Fahrradstraße Kleefelder Straße[5] ein „Prüf- und Handlungsschema zur Optimierung von Fahrradstraßen“ [6] entwickelt. Die im Urteil genannten und in das Prüfschema übertragenen Kriterien sind mit den eingangs genannten vergleichbar und gehen über die bisherige Hannoveraner Praxis[7] hinaus. Mit dem Urteil konnten bestehende rechtliche Bedenken insbesondere zu Beschränkungen des Kfz-Verkehrs in Fahrradstraßen ausgeräumt werden. Verwaltungsintern ist nunmehr klar, wie Fahrradstraßen gestaltet sein müssen. Dadurch laufen Planungs- und Abstimmungsprozesse zügig ab. Auch aus dem politischen Raum wurde klar signalisiert, die Kriterien aus dem Urteil als Maßstab zu nehmen.[8] Da zudem kein Vergabeverfahren nötig ist, ist der Umsetzungsprozess unter Idealbedingungen der schnellste im Vergleich aller drei Städte.
Zwar handelt es sich um eine Einzelfallentscheidung des Gerichts, dennoch wendet die Stadt das Prüfschema sukzessive auf sämtlichen Fahrradstraßen im Stadtgebiet an. Begonnen wurde mit dem Überprüfungs- und Anpassungsprozess im Bezirk Hannover-Mitte[9]. Umgesetzt werden vor allem Markierungen und Beschilderungen, ergänzt mit einfachen Tiefbau-Unterhaltungsmaßnahmen wie kleineren Gehweg- und Bordanapassungen, Deckensanierungen und Anpassungen der Lichtsignalsteuerung. In einzelnen Fällen kann es allerdings auch zur Aufhebung einer bestehenden Fahrradstraße kommen, wenn beispielsweise die Mindestfahrgassenbreiten aufgrund baulicher Limitierungen nicht sichergestellt werden kann. Des Weiteren wird bei besonders komplexen Straßenräumen oder Synergien mit anderen Planungen ein gesondertes Verfahren durchgeführt.
Die Kriterien aus dem Prüfschema gelten auch dann, wenn eine neue Fahrradstraße geplant und angeordnet wird. Grundsätzlich lassen sich diese Projekte auch im genannten Zeitraum realisieren.Beispiel Berlin-Mitte: klarer politischer Handlungsauftrag
Der Berliner Bezirk Mitte liegt bei der Umsetzungsdauer im Mittelfeld der betrachteten Kommunen. Die verwaltungsinternen Abstimmungsprozesse nehmen die meiste Zeit in Anspruch. Gleichwohl gibt es durch eine starke politische Rückendeckung sowohl auf bezirklicher Ebene (bezirkliches Radverkehrsnetz, Beschlüsse für Fahrradstraßen durch die Bezirksverordnetenversammlung) als auch durch berlinweite Vorgaben (unter anderem Berliner Radverkehrsnetz, Berliner Mobilitätsgesetz) einen klaren Handlungsauftrag, der im Bezirk von den Beteiligten bei der Straßenverkehrsbehörde sowie im Planungsbereich umgesetzt wird. Die sukzessive Öffentlichkeitsarbeit (Website, Pressemitteilungen, Vor-Ort-Schilder) ist mit genügend Kapazitäten hinterlegt, sodass diese Aktivitäten gut eingetaktet werden können. Fertiggestellt wurden vor kurzem die Charlottenstraße und die Triftstraße. Aktuelle Projekte sind u.a. die Gartenstraße, Lynarstraße, Tucholskystraße.[10]
Beispiel Konstanz: rasche bauliche Umsetzung ohne Vergabeverfahren
In Konstanz hat die Umsetzung einer Fahrradstraße gut zwölf Monate gedauert. Dabei nahm auch hier der Planungs- und Abstimmungsprozess einen sehr großen Teil der Zeit in Anspruch – auch im Vergleich zu den anderen Kommunen. Dies lag im konkreten Fall an fehlenden Kapazitäten für die Planung sowie an zusätzlichen Abstimmungsschleifen mit Anlieger:innen. Da im Vergleich zu den anderen Städten in Konstanz eine politische Beschlussschleife vorgesehen ist, hat dieser Schritt mehr Zeit als in den anderen Städten in Anspruch genommen. Demgegenüber ist sowohl die Öffentlichkeitsarbeit (Postwurfsendung für Anlieger:innen) als auch die unmittelbare bauliche Umsetzung durch die technischen Betriebe im Vergleich effizient organisiert. Ein weiteres vergleichbares Fahrradstraßen-Projekt hat in Konstanz deutlich länger gedauert. Dies lag unter anderem an internen Diskussionen zum Wegfall von Stellplätzen, fehlenden Planungskapazitäten und aufwändigem Fördermittelmanagement. Ein schnelles Vorgehen ist in Konstanz zwar möglich, aber noch nicht als Standardverfahren etabliert.
Zentrale Faktoren für eine schnelle Umsetzung
Die dargestellten Prozesse geben einen Überblick über einzelne Bestandteile eines Umsetzungsprozesses für eine Fahrradstraße. Dabei wird deutlich: Fahrradstraßen lassen sich in wenigen Monaten bis zu einem Jahr mit einfachen Elementen und ohne umfangreiche Tiefbaumaßnahmen in hoher Qualität errichten. Viele Maßnahmen sind relativ einfach (Beschilderung, Poller, Markierungen) und ohne Tiefbaumaßnahmen umsetzbar. Für den zügigen Ausbau von zusammenhängenden und attraktiven Radnetzen ist das eine gutes Zeichen.
In Reflexionsgesprächen mit Verwaltungsmitarbeitenden aus weiteren Kommunen konnten die Abläufe und Zeitansätze der Beispielkommunen grundsätzlich bestätigt werden. Gleichwohl wurde von allen Gesprächspartner:innen betont, dass es sich bei den oben dargestellten Abläufen und Zeitschienen um relativ schnelle Prozesse handelt. Der Wegfall von Parkständen und die Unterbrechung von Kfz-Durchgangsverkehr sind zum Beispiel Qualitätskriterien und Konfliktherde gleichermaßen. So wurden auch stets verschiedene Bremsfaktoren benannt, die zu deutlichen Verzögerungen führen können.
Drei Faktoren sind besonders wichtig, um die Prozesse zu beschleunigen:
- Planungs- und Abstimmungsprozesse kurzhalten: Mit Blick auf die drei Beispielkommunen wird deutlich, dass die Planungs- und Abstimmungsprozesse einen großen Zeitanteil einnehmen. Da oft auf Tiefbaumaßnahmen verzichtet werden kann, sind per se weniger Akteure zu beteiligen. Dennoch können gerade die Elemente in Fahrradstraßen, die Kfz-Verkehr beschränken, auch verwaltungsintern für Dissens sorgen. Gegen Blockaden, Unsicherheiten und Entscheidungsvakuum helfen klare Kriterien und Zuständigkeiten, zum Beispiel wann eine höhere Entscheidungsebene hinzugezogen werden sollte. In Hannover sorgt aktuell vor allem das Urteil des Verwaltungsgerichts beziehungsweise das Prüfschema für eine schnelle interne Entscheidungsfindung. In Berlin-Mitte ist es der klare Handlungsauftrag aus den verschiedenen planerischen und politischen Vorgaben.
- Politische Beschlussschleifen im Umsetzungsprozess minimieren: Gerade bei konfliktträchtigen Maßnahmen kommt es in vielen Kommunen dazu, dass übergeordnete und beschlossene Planungen im konkreten Fall hinterfragt werden. Besonders wenn Straßen deutlich umgestaltet werden und Kfz-Fahrspuren oder Parkflächen entfallen, wird das „laufende Geschäft der Verwaltung“ angehalten und die Maßnahme trotz Grundsatzbeschluss, Radroutennetz und Gestaltungsvorgaben für Fahrradstraßen politisch und öffentlich diskutiert. Um schnelle Umsetzungsprozesse zu erreichen, braucht es aus der Kommunalpolitik verlässliche Zielvorgaben und Prioritäten, die auch bei Gegenwind weitergelten. Immer neue politische Beschlussschleifen für einzelne Vorhaben bieten hingegen immer wieder neuen Anlass für politische Auseinandersetzungen.
- Rahmenverträge und Eigenbetriebe sparen Zeit bei Vergabe und Umsetzung: In Relation zum Planungsprozess nimmt das Vergabeverfahren in Berlin-Mitte einen ähnlich hohen Zeitanteil ein. Im Gegensatz dazu kann die bauliche Umsetzung in Hannover und Konstanz durch einen Rahmenvertrag beziehungsweise den kommunalen Eigenbetrieb deutlicher schneller beginnen. Um Zeit zu sparen und auch administrativen Aufwand für das Planungspersonal zu minimieren, ist es empfehlenswert, Rahmenverträge für Beschilderung, Markierungsarbeiten und das Setzen von Pollern abzuschließen oder kommunale Bauhöfe damit zu beauftragen. Im Gegensatz zur Einzelvergabe sind bei Rahmenverträgen auch die Auftragsvolumen für Firmen attraktiver und erhöhen die Chance auf geeignete Bewerber.
[1] Fahrradstraßen-Leitfaden, S. 13f., https://backend.orlis.difu.de/server/api/core/bitstreams/d9483ac8-2855-4431-9159-a49707136b1c/content.
[2] Konstanz: Handlungsprogramm Radverkehr, Hannover: Netzkonzept Radverkehr, Berlin: Radverkehrsplan.
[3] Vgl. Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 in der Fassung vom 8. November 2021, Zu Zeichen 244.1 und 244.2 Beginn und Ende einer Fahrradstraße.
[4] Beispiel einer Informationsseite des Bezirks Berlin-Mitte zur Fahrradstraße Charlottenstraße - https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/strassen-und-gruenflaechenamt/planung-entwurf-neubau/fahrradstrasse-charlottenstrasse-1248593.php.
[5] Informationen zum Verwaltungsgerichtsurteil in Hannover https://www.hannover.de/Service/Presse-Medien/Landeshauptstadt-Hannover/Meldungsarchiv-f%C3%BCr-das-Jahr-2022/Neue-Verkehrsregeln-in-der-Kleefelder-Stra%C3%9Fe.
Prüfschema zur Optimierung bestehender Fahrradstraßen e-government.hannover-stadt.de/lhhsimwebre.nsf/DS/3295-2022
[7] In allen bestehenden Fahrradstraßen wurde bisher lediglich das VZ 244 (Fahrradstraßen-Schild) aufgestellt.
[8] „Wo Fahrradstraße draufsteht, wird künftig auch Fahrradstraße drin sein“, so Oberbürgermeister Belit Onay. https://presse.hannover-stadt.de/pmDetail.cfm?pmid=20349.
[9] Fahrradstraßen Adolfstraße, Kleefelder Straße, Lange Laube, Flüggestraße/Eichstraße sowie ein Teil der Kleestraße.
[10] Projektübersicht des Bezirks Berlin-Mitte https://www.berlin.de/ba-mitte/politik-und-verwaltung/aemter/strassen-und-gruenflaechenamt/planung-entwurf-neubau/radverkehr-895126.php.
Fachkräfte gezielt für die Radverkehrsplanung einsetzen
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Fachkräfte gezielt für die Radverkehrsplanung einsetzen
Ein schneller Ausbau von Radwegen scheitert oft an knappem Personal. Durch Aufgabenteilung und Digitalisierung können Radverkehrsplaner:innen entlastet und ihre Kapazitäten besser genutzt werden.
Von Wolfgang Aichinger (Agora Verkehrswende) und Thomas Stein (Difu)
Personalmangel ist eine zentrale Herausforderung für kommunale Verwaltungen – das gilt auch bei der Radverkehrsförderung. Für die Planung und Umsetzung von Radverkehrsinfrastruktur werden vor allem Ingenieur:innen gebraucht. Die sind am Arbeitsmarkt gefragt und für Kommunen nicht immer leicht zu gewinnen. Umso schwerer wiegt, dass Planer:innen bei ihrer Arbeit in den Kommunen viel Zeit auf andere Aufgaben verwenden müssen, die dann für die Hauptaufgabe Radwegeplanung fehlt. Es lohnt sich daher zu prüfen, wie diese Aufgaben anders bewältig oder delegiert werden können.
Für Agora Verkehrswende hat das Deutsche Institut für Urbanistik Verkehrsverwaltungen Fachkräfte in Hannover, Bonn und eine weitere Kommune mit ca. 150.000 Einwohner:innen nach Arbeitsaufgaben und Zeitaufwänden im Bereich der Radverkehrsplanung befragt. Außerdem hat das Institut Lösungsbeispiele aus verschiedenen Städten zusammengetragen, die zeigen, wie Fachkräfte entlastet sowie Arbeitsprozesse oder Kommunikation verbessert werden können.
Drei Städte – ähnliche Problemlagen
In den drei untersuchten Städten wird ein Anteil von 55 bis rund 75 Prozent der Arbeitszeit der Radverkehrsplaner:innen durch Aufgaben gebunden, die nicht originär dem Ausbau des Radwegenetzes dienen, obwohl dieser in allen Städten beschlossen wurde und politische Priorität haben soll. Neben der zeitaufwändigsten Aufgabe „Anfragen aus Politik und Bürgerschaft“ bieten insbesondere Tätigkeiten in der Kategorie „weiteren Aufgaben“ – etwa Beteiligungsformate, Abstimmungsprozesse oder Ausschreibungen – Potenzial zur Verbesserung.
- Anfragen aus Bevölkerung, Politik und von Medien kosten viel Zeit
Kommunale Verwaltungen erhalten viele Anfragen von Bürger:innen, Medien, Verbänden oder aus der Politik. Das Bedürfnis nach Information und Mitbestimmung ist verständlich, kostet aber viel Zeit. Denn wenn es ihre Arbeit betrifft, sind Radverkehrsplaner:innen an der Beantwortung der Anfragen beteiligt. Neben einer steigenden Zahl von Anfragen[1][2] macht ihnen dabei oft ein ineffizientes Wissensmanagement innerhalb der Verwaltung zu schaffen. Möglichkeiten der Digitalisierung werden nicht genutzt und Informationen müssen zum Teil aufwändig aus dezentralen Excel-Listen zusammengetragen werden. In den befragten Kommunen nehmen diese Aufgaben zwischen 19 und 30 Prozent der Arbeitszeit der Planer:innen in Anspruch. Ein Beispiel: In der Stadt Heidelberg muss das Amt für Mobilität neben Telefonanrufen und Briefen jährlich bis zu 25.000 E-Mails beantworten, darunter viele Anliegen und Ideen aus der Bürgerschaft[3].
- Kein Personal für Kommunikation und Beteiligung
Beteiligungsveranstaltungen und Öffentlichkeitsarbeit sind wichtige Aufgaben bei Radverkehrsprojekten. Neben der inhaltlichen Vorbereitung fallen dabei organisatorische Aufgaben an, etwa für Konzept, Veranstaltungsort oder Informationsmaterial. In der Praxis übernehmen oft Radverkehrsingenieur:innen diese Aufgaben und verlieren Zeit für die Planung von Radwegen. Gleichzeitig fehlt es an professionellem Know-how für überzeugende und zielgruppengerechte Veranstaltungen und Formate.
- Komplexe Fördermitteladministration
Fördermittel von Bund und Ländern sind wichtige Finanzierungsbausteine für Radinfrastrukturmaßnahmen. Der teilweise hohe administrative Aufwand erfordert jedoch viele Personalstunden, die je nach Kommune auch von Planer:innen geleistet werden müssen. Auch in diesem Fall kann professionell ausgebildetes Personal diese nicht nur entlasten, sondern die Fördermittelbeschaffung und -verwaltung verbessern.
Lösungsansätze für einen effektiveren Personaleinsatz
Die Problemlagen ähneln sich vielerorts – wenngleich die Dringlichkeit sich von Fall zu Fall unterscheidet. Wird beispielsweise ein Radweg nur aus Haushaltsmitteln finanziert und ohne, dass dafür Parkplätze wegfallen, verringert sich der Aufwand bei Fördermitteln und Öffentlichkeitsarbeit im Vergleich zu konfliktträchtigen Maßnahmen, die aus Fördermitteln finanziert werden.
Klar ist außerdem, dass zur Arbeit von Planungspersonal auch künftig die Beantwortung von Fragen aus Politik und Bürgerschaft zählen werden – denn im Zweifel haben nur sie das nötige Fachwissen. Auch interne Abstimmungen, Stellungnahmen zu anderen kommunalen Planungen oder die Mitarbeit an Beteiligungsveranstaltungen werden bis zu einem gewissen Grad notwendige Tätigkeiten von Planer:innen bleiben.Dennoch ist der effektivere Einsatz von Fachkräften eine zentrale Stellschraube, um dem Personalmangel zu begegnen. Statt zu 30 Prozent Planungsaufgaben und zu 70 Prozent andere Tätigkeiten zu übernehmen (vgl. Bonn und dritte Beispielstadt) sollte dieses Verhältnis umgekehrt sein.
Die drei befragten Städte und viele weitere Kommunalverwaltungen haben die beschriebenen Problemlagen erkannt und arbeiten an Lösungen. Dazu gehören:
- Arbeitsteilung durch spezialisierte und interdisziplinäre Teams,
- ein verbessertes, digital unterstütztes Daten- und Wissensmanagement,
- mehr Transparenz und Information nach außen sowie
- effektivere Arbeitsprozesse durch Projektarbeit und Projektmanagement anstelle von linearem oder sektoralem „Abarbeiten“.
1. Lösungsansatz: Aufgaben an Spezialist:innen vergeben
Verkehrsplanung ist heute mehr denn je ein konfliktträchtigtes und interdisziplinäres Thema, das weit über Straßenbau und verkehrstechnische Überlegungen hinausgeht. Neben dem drängenden Thema Klimaschutz spielt gerade in der Stadt die Verteilung knapper Flächen eine größere Rolle als früher. Kommunikation, Information und Beteiligung von Politik und Bevölkerung haben deshalb eine höhere Bedeutung. Zudem steigt der Aufwand für Projekt- und Fördermittelmanagement oder auch die Koordinierung innerhalb der Verwaltungen. Viele dieser Aufgaben erfordern nicht zwingend eine technische Ausbildung, sondern können auch mit anderen Kompetenzprofilen gut oder sogar besser abgedeckt werden.
- Neue Personalstellen für Spezialaufgaben (Bonn)
Die Stadt Bonn geht die identifizierten Flaschenhälse mit neuem Personal in spezialisierten Aufgabenbereichen an.
Zum einen wurde eine Koordinierungs- und Kommunikationsstelle für den Radverkehr geschaffen, die als Schnittstelle zu anderen Abteilungen und Ämtern fungiert. Die Stelle kann mit den Mitteln für unbesetzte Tiefbaustellen finanziert werden. Sie unterstützt Ingenieur:innen bei der internen Koordination, bei Abstimmungen und anderen Arbeitsprozessen.
Eine weitere Personalstelle unterstützt das Radverkehrs- und Mobilitätsteam bei der Beantwortung und Koordinierung von Anfragen aus der Bevölkerung, bei der Öffentlichkeitsarbeit und bei Stellungnahmen zu politischen Anträgen und Beschlüssen. Diese neuen Stellen sind erst vor wenigen Monaten geschaffen worden. Mit wachsender Routine dürfte die Entlastungswirkung sukzessive steigen.
Auch das Fördermittelmanagement wird seit einigen Jahren zentral von einer Person bearbeitet. Die hohe Anzahl an Maßnahmen und Förderprogrammen mitsamt ihren verschiedenen administrativen Anforderungen können so besser koordiniert, die Mittel effektiver eingesetzt und das Planungspersonal von Aufgaben entlastet werden.- Abteilung Bürgerbeteiligung (Heidelberg)
In Heidelberg werden Know-How und Personalkapazitäten zu Bürgerbeteiligung in einer eigenen Abteilung gebündelt. Die Kernaufgaben des Teams Bürgerbeteiligung werden durch die Leitlinien für mitgestaltende Bürgerbeteiligung der Stadt Heidelberg sichergestellt. Mit einer sogenannten Vorhabenliste, die gedruckt und digital veröffentlicht wird, informieren die Mitarbeiter:innen frühzeitig über alle geplanten Projekte der Stadt. Außerdem beraten und unterstützen sie Fachämter sowie Vorhabenträger bei der Entwicklung von Beteiligungskonzepten sowie Planung und Durchführung von Beteiligungsverfahren. Der Erfolg der Bürgerbeteiligung und der Heidelberger Leitlinien wird durch regelmäßige Evaluation sichergestellt.
2. Lösungsansatz: digitales und vernetztes Datenmanagement
Ein gutes internes Datenmanagement kann den Rechercheaufwand bei Anfragen aus Politik und Bürgerschaft reduzieren und das Planungspersonal entlasten.
- Datenmanagement durch Projektsteuerung (Hamburg)
In Hamburg übernimmt der Landesbetrieb für Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG) die Projektsteuerung zur Umsetzung der Maßnahmen des Bündnisses für den Fuß- und Radverkehr. In dieser Funktion bündeln die Mitarbeitenden neben Projektmanagementaufgaben verschiedene Informationen aus den Hamburger Bezirken zu Radverkehrsmaßnahmen wie Projektstand, Finanzierungsgrundlage oder Maßnahmenart. Diese Datengrundlage des LSBG entlastet das Planungspersonal in den Bezirken bei der alltäglichen Arbeit, die etwa bei kleinen Anfragen aus der Politik entsteht. Die zentrale Steuerung vereinfacht zum Beispiel Auskünfte darüber, wie viele Bäume oder Parkplätze von einer Maßnahme betroffen sind.
3. Lösungsansatz: Digitalisierung und proaktive Kommunikation
Neben einer effektiven Beantwortung versuchen Kommunen auch die Zahl der Anfragen zu verringern. Proaktive Information über Projektstände oder Planungsideen können Nachfragen aus der Öffentlichkeit überflüssig machen. Neben klassischen Informationsseiten oder Sachstands- und Fortschrittsberichten auf der kommunalen Homepage dienen dazu immer öfter GIS-basierte Informationsportale.
- Projektkarte der infraVelo (Berlin)
In Berlin stellt die landeseigene Radinfrastrukturgesellschaft infraVelo GmbH aktuelle Informationen zu Radverkehrsmaßnahmen auf einer digitalen Projektkarte dar. Neben der Verortung findet sich zu jeder Maßnahme eine Kurzbeschreibung mit Details zu Vorhabenträgerschaft, Zeitplanung, Umsetzungsstand und Projekttyp.
- Radentscheid-Jahresveranstaltung und Projektfortschritts-Video (Aachen)
Die Stadt Aachen informiert einmal im Jahr auf einer Veranstaltung über den Fortschritt bei der Umsetzung des „Radentscheid“-Beschlusses. Neben der Veranstaltung veröffentlicht sie ein hochwertig produziertes Video zu verschiedenen Projekten.
Die Umfrage in drei Kommunen zeigt: Auch wenn Radverkehrsplaner:innen vorhanden sind, können sich diese aufgrund zahlreicher anderer Aufgaben nicht ausreichend dem Radwegebau widmen. Damit bleibt eine entscheidende Ressource für die Verkehrswende zum Teil ungenutzt. Lösungsansätze lassen sich in einigen Kommunen finden. Hilfreich ist es zum Beispiel, Spezialaufgaben wie Bürgerbeteiligung und Öffentlichkeitsarbeit nicht an die Radverkehrsplaner:innen zu vergeben, sondern an dafür geschulte Kräfte innerhalb der Verwaltung. Ein digitales Datenmanagement und eine regelmäßige Kommunikation über den Fortschritt des Radwegebaus können helfen, Anfragen aus Politik und Bürgerschaft zu vermeiden – oder schneller zu bearbeiten.
[1] https://www.wetterauer-zeitung.de/wetterau/friedberg-ort28695/legt-anfrageritis-friedberger-verwaltung-lahm-12163438.html
[2] https://checkpoint.tagesspiegel.de/langmeldung/4leWrnPdBCDlMuyOEhs2d2;
[3] https://werdenktwas.de/2023/01/27/maengelmelder-pilotprojekt-in-heidelberg-gut-angelaufen/
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Autor
-
Wolfgang Aichinger
Projektleiter Städtische Mobilität