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Mit der bundesweiten Mobilitätsgarantie kann der Staat seiner Aufgabe der Daseinsvorsorge nachkommen, soziale Teilhabe stärken und Mobilitätsarmut abbauen.
Mobilität ist eine wichtige Voraussetzung für soziale Teilhabe. Einschränkungen in der Mobilität bedeuten deshalb auch Einschränkungen in der sozialen Teilhabe. Von Mobilitätsarmut betroffen sind Menschen vor allem dann, wenn sie sich Mobilität schwer leisten können, kein Auto fahren können, Orte des täglichen Bedarfs nicht gut erreichen oder wenn sie durch Hol- und Bringfahrten für ihr soziales Netzwerk stark beansprucht sind. Ein garantiertes Grundangebot mit Bus und Bahn kann gerade diese Menschen unterstützen.
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Bund, Länder und Kommunen sollten sich auf ein gemeinsames Zielbild für eine bundesweite Mobilitätsgarantie einigen.
Bisher nennt der Gesetzgeber den öffentlichen Nahverkehr nur allgemein als Teil der staatlichen Daseinsvorsorge, ohne festzuhalten, wie ein Grundangebot im öffentlichen Nahverkehr konkret aussehen soll. Die Versorgungslage ist deshalb bundesweit sehr unterschiedlich. Einzelne Bundesländer arbeiten bereits an landesweiten Mobilitätsgarantien. Dabei geht es um Mindeststandards für verschiedene Kriterien, zum Beispiel: Wie oft fahren Busse und Bahnen? Zu welchen Zeiten und an welchen Tagen sind sie in Betrieb? Bis zu welchem Grad werden auch kleine Siedlungen erschlossen? Welche Ziele sind ohne Umsteigen erreichbar?
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Als Grundlage für weitere Diskussionen und Entscheidungen sollte ein deutschlandweites Monitoring des öffentlichen Verkehrs auf Basis von Güteklassen dienen.
So wird transparent, wie gut einzelne Haushalte an den ÖPNV angebunden sind und wo Lücken auf dem Weg zu einer bundesweiten Mobilitätsgarantie bestehen. Hierfür bietet es sich an, die Systematik der ÖV-Güteklassen aus Österreich zu übernehmen. Die Güteklassen beruhen darauf, wie oft Linienbusse und -bahnen von einer Haltestelle abfahren und wie weit entfernt Menschen von der nächsten Haltestelle leben. In die Beurteilung sollten perspektivisch auch On-Demand-Verkehre und die realen Fußwege zu Haltestellen einbezogen werden.
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Eine aktuelle Analyse des ÖV-Angebots in Deutschland auf Basis von Güteklassen zeigt erhebliche Lücken in der Versorgung.
20 Millionen Menschen (25 Prozent) haben nur Zugang zu einem grundlegenden ÖV-Angebot (Güteklasse E oder F) oder nahezu keinen ÖV-Anschluss an ihrem Wohnort (keine Güteklasse). Der Anteil der Menschen, die keinen guten Zugang zum öffentlichen Verkehr haben, ist am höchsten in Flächenländern wie Bayern, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern. Flächenländer wie Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Hessen schneiden im Vergleich dazu deutlich besser ab (höchster Anteil mit Zugang zu ÖV-Güteklasse A oder B). Bundesweit verfügen 33 Millionen Menschen (41 Prozent) an ihrem Wohnsitz über ein gutes bis sehr gutes Angebot mit Bus und Bahn (Güteklasse A oder B).
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Um mindestens einen Stundentakt für alle zu gewährleisten, müsste Deutschland sein Angebot im öffentlichen Linienverkehr um rund 46 Prozent steigern.
Das zeigen Modellrechnungen auf Basis der ÖV-Güteklassen. Der Stundentakt wird von vielen Organisationen als untere Grenze für ein angemessenes Grundangebot angesehen und entspricht etwa dem aktuellen Niveau in der Schweiz. Eine Mobilitätsgarantie mit geringem Anspruch ließe sich bereits mit gut zwei Millionen zusätzlichen täglichen Fahrplankilometern (plus 10 Prozent) ermöglichen. Dabei würde an sämtlichen Bushaltestellen zumindest alle zwei Stunden eine Fahrt angeboten. Bei der praktischen Umsetzung in ländlichen Regionen könnten neben Linienverkehren flexible On-Demand-Angebote eine wichtige Rolle spielen. An Bahnhaltestellen ist ein Stundentakt oder mehr heute bereits der Normalfall.
Mobilitätsgarantie für Deutschland – Teil II
Erreichbarkeitsanalyse und Empfehlungen für eine bundesweit garantierte Grundversorgung mit Bus und Bahn
Einleitung
Die vorliegende Publikation ist der zweite und abschließende Teil einer Analyse zum Instrument einer bundesweiten Mobilitätsgarantie für Bus und Bahn. Eine Mobilitätsgarantie verfolgt das Ziel, flächendeckend Mobilität auch ohne eigenes Auto sicherzustellen, um die soziale Teilhabe zu verbessern und einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Bisher können besonders einkommensschwächere und andere vulnerable Gruppen in Regionen mit einem schlechten Angebot des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) nicht auf Bus und Bahn ausweichen, wenn die Betriebskosten des Pkw zu hoch sind oder sie aufgrund ihres Alters, körperlicher Einschränkungen oder anderen Gründen kein Auto nutzen können.
Anders als in Deutschland gibt es in der Schweiz und Österreich bereits Güteklassen, die als Evaluierungs- und Planungsinstrument für den öffentlichen Verkehr dienen. Mit Hilfe dieser Klassen lassen sich die Bedienungsqualität im Umkreis von Haltestellen und die ÖPNV-Versorgung der Bevölkerung bewerten. Im vorliegenden Teil II wird solch eine systematische Erreichbarkeitsanalyse erstmals auf ganz Deutschland angewendet. Darauf aufbauend werden drei Szenarien für eine Ausweitung des Angebots berechnet und mögliche nächste Schritte zur Realisierung einer Mobilitätsgarantie skizziert. Die Erreichbarkeitsanalyse und die Szenarien hat das auf Verkehrsplanung spezialisierte Unternehmen Plan4Better im Auftrag von Agora Verkehrswende berechnet.
Der erste Teil der Analyse erschien im August 2023 und geht auf die Ausgangslage in Deutschland und Praxisbeispiele ein.
Kernergebnisse
Bibliographische Daten
Downloads
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Mobilitätsgarantie für Deutschland - Teil II
Erreichbarkeitsanalyse und Empfehlungen für eine bundesweit garantierte Grundversorgung mit Bus und Bahn
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Mobilitätsgarantie für Deutschland - Teil II
Datenanhang
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pdf 2 MB
Mobilitätsgarantie für Deutschland - Teil I
Ausgangslage und Praxisbeispiele für eine bundesweit garantierte Grundversorgung mit Bus und Bahn
Grafiken aus dieser Publikation
Verbesserung der Güteklassen im Umfeld von Haltestellen in der Simulation mit Fahrplan 2023 (links) und Mobilitätsgarantie Variante M (rechts)
Von Mobilitätsgarantie für Deutschland – Teil II auf Seite 1
Schritte auf dem Weg zur Mobilitätsgarantie
Von Mobilitätsgarantie für Deutschland – Teil II auf Seite 12
Projektleitung
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Philipp Kosok
Projektleiter Öffentlicher Verkehr
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Lennard Markus
Studentischer Mitarbeiter
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Esther Rublack
Referentin Unternehmensmobilität