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Format
Blog
Date
13. Juni 2023

Klimaschutzgesetz: Novelle als Chance nutzen

Was bisher von der geplanten Novelle des Klimaschutzgesetzes bekannt ist, gefährdet Deutschlands Erfolgsaussichten beim Klimaschutz und bei der wirtschaftlichen Transformation. Sollte die Bundesregierung die Bedeutung der jährlichen Sektorziele abschwächen, müsste sie im Gegenzug die Klimaschutzarchitektur durch andere Mechanismen stärken.


Von: Lea Nesselhauf (Agora Energiewende), Carl-Friedrich Elmer (Agora Verkehrswende)

Noch vor der Sommerpause plant die Bundesregierung, im Schnelldurchlauf eine Novelle des Klimaschutzgesetzes durch den Bundestag zu bringen. Dabei geht es nicht um irgendein Gesetz – das Klimaschutzgesetz bildet das Grundgerüst der deutschen Klimaschutzarchitektur. Es legt neben den Klimazielen unter anderem fest, was bei deren Verfehlen passieren muss. Bei einer Reform muss die Bundesregierung gewährleisten, dass Deutschland seine Klimaziele erreicht und dass dies möglichst wirtschaftlich effizient und sozial ausgewogen gelingt.

Die Ampelkoalition hat angekündigt, in Zukunft stärker auf eine sektor- und jahresübergreifende Gesamtrechnung setzen zu wollen anstelle von jährlichen sektorspezifischen Zielen. In der Klimaschutzarchitektur erfüllen die Sektorziele jedoch wichtige Funktionen: Sie legen klare Treibhausgas-Reduktionsmengen für die einzelnen Sektoren und damit für Deutschland insgesamt fest und geben einen Reduktionspfad vor. Sie sorgen so für Orientierung und Planungssicherheit in Wirtschaft und Gesellschaft. Bei Zielverfehlung erzeugen sie politischen Handlungsdruck und verteilen die Verantwortung für eine Korrektur jeweils auf die Sektoren und Ministerien, die ihr Ziel verfehlt haben. Das entspricht, wie ein juristisches Gutachten bestätigt, dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz. Dem Karlsruher Gericht zufolge dürfen Emissionsminderungslasten nicht einseitig in die Zukunft verschoben werden, stattdessen sollen Freiheitsrechte durch wirksamen und frühzeitigen Klimaschutz über Generationen hinweg gewahrt bleiben.

Die jährlichen Sektorziele abzuschwächen, ist deshalb auch verfassungsrechtlich problematisch, besonders mit Blick auf die Sorgenkinder der Klimapolitik – die Sektoren Gebäude und Verkehr. Wenn der Handlungsdruck in diesen Bereichen nachlässt, könnte es zu einer weiteren Verschiebung von Emissionsminderungslasten in die Zukunft kommen. Eine Verschiebung von Emissionsmengen zwischen den Sektoren, wie sie die Regierung durch ihre Reform erleichtern möchte, ist hingegen schon nach dem geltenden Klimaschutzgesetz möglich – unter der Bedingung, dass die zuständigen Ministerien zustimmen. Das Problem liegt hier also weniger in der vermeintlich fehlenden rechtlichen Flexibilität begründet als in der Tatsache, dass Emissionsunterschreitungen in anderen Bereichen, welche die Überschreitungen im Gebäude- und Verkehrsbereich kompensieren könnten, schlicht nicht vorhanden sind – insbesondere dann nicht, wenn man von etwaigen Sondereffekten wie der Energiepreiskrise im letzten Jahr absieht.  

Zudem verpflichtet das EU-Recht Deutschland zu einer gewissen Sektorlogik: Es ist kein Ausgleich von Emissionsmengen vorgesehen zwischen den Sektoren Industrie und Energiewirtschaft im europäischen Emissionshandel (Emission Trade System, ETS I) einerseits und andererseits den Sektoren in der EU-Lastenteilungsverordnung (Effort Sharing Regulation) – darunter fallen unter anderem der Verkehrs- und Gebäudebereich. Bei einem Überschreiten der von der EU vorgegebenen ESR-Ziele müsste Deutschland Emissionsrechte von anderen Ländern für viel Geld hinzukaufen; sollten diese nicht verfügbar sein, könnte ein Vertragsverletzungsverfahren folgen.

Recht durchsetzen

Sollte Deutschland beim Klimaschutz nachlassen und zurückfallen, wäre das nicht nur ein fatales Signal für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und für die internationale Zusammenarbeit; es droht gleichzeitig ein Bruch des EU-Rechts und möglicherweise des Grundgesetzes. Wenn Sektorziele künftig eine weniger zentrale Rolle spielen sollen, muss die Bundesregierung daher mit anderen Mechanismen gewährleisten, dass Deutschland sein durch den Reduktionspfad im Klimaschutzgesetz definiertes CO2-Gesamtbudget einhält und bereits in dieser Legislaturperiode möglichst keine weiteren Emissionsüberschüsse anhäuft. Denn schon jetzt geht es in den Bereichen Gebäude und Verkehr kaum voran. Entscheidend ist also nicht allein, dass Sektorziele auf dem Papier stehen; entscheidend ist, dass die Bundesregierung das Klimaschutzrecht durchsetzt und wirksam die Emissionen senkt.

Eine Möglichkeit, die Instrumente der Klimaschutzpolitik und damit auch die Rechtsdurchsetzung zu stärken, besteht darin, den nationalen Brennstoffemissionshandel in ein echtes Handelssystem zu überführen. Darin dürfen nur so viele Emissionszertifikate ausgegeben werden, wie es die jährlichen Klimaziele zulassen. So würde der Emissionshandel gleichzeitig Ziele vorgeben und deren Einhaltung unterstützen. Die Einnahmen aus dem Verkauf der Zertifikate sollten zum sozialen Ausgleich genutzt werden – über ein pauschales Klimageld und über besondere Förderungen für Menschen mit geringem Einkommen. In der Anfangsphase gilt es, einen plötzlichen, starken Preisanstieg zu vermeiden. Dafür könnten in klar begrenztem Umfang zusätzliche Zertifikate aus einer Marktstabilitätsreserve dienen, wobei dies im Einklang mit dem zulässigen Treibhausgas-Gesamtbudget geschehen muss.

Langfristig planen

Zu versteigernde Zertifikatemengen allein bieten allerdings keine Planungssicherheit, wie sie das Bundesverfassungsgericht fordert. Diese kann sich erst durch die Verknüpfung von der CO₂-Bepreisung mit einer Langfriststrategie und einem breiten Policy-Mix ergeben. Dies ist auch mit Blick auf die ökonomische Effizienz der Klimapolitik geboten, da ein (nahezu allein) auf den CO2-Preis fokussierter Ansatz angesichts vielfältiger bestehender Marktverzerrungen zu kurz greift. Eine solche Langfriststrategie ist bereits im bestehenden Klimaschutzgesetz vorgesehen. Doch das letzte Klimaschutzprogramm stammt aus dem Jahr 2019 und ist noch auf Klimaneutralität 2050 ausgerichtet. Die darin vorgesehenen Maßnahmen waren bereits für die damals geltenden Klimaziele für 2030 ungenügend, welche um zehn Prozentpunkte niedriger als die heutigen Ziele lagen. Laut Koalitionsausschuss soll künftig zu Beginn jeder Legislaturperiode ein Klimaschutzprogramm vorgelegt werden. Das ist sinnvoll, darf aber nicht dazu führen, dass sich die Bundesregierung vor der Erstellung des – bereits mehrfach angekündigten – Klimaschutzprogramms für diese Legislaturperiode drückt.

Vorausschauend nachsteuern

Wenn eine Langfriststrategie nicht ausreichend wirkt oder gar fehlt, kommt es umso mehr aufs Nachsteuern an. Die geltende Rechtslage sieht vor, dass die verantwortlichen Ressorts Klimaschutzsofortprogramme erarbeiten, wenn sie sektorale Reduktionsziele verfehlt haben. In Zukunft soll dies nach den Plänen der Ampelkoalition dann geschehen, wenn sich in der projizierten Entwicklung bis 2030 abzeichnet, dass die Ziele mit den vorgesehenen Maßnahmen nicht eingehalten werden können. Dieser Schritt wäre grundsätzlich ein begrüßenswerter Paradigmenwechsel: von einer reaktiven hin zu einer vorausschauenden Klimapolitik.

Allerdings sollte die Nachsteuerung nicht erst dann erfolgen, wenn der Projektionsbericht zwei Jahre in Folge eine Verfehlung ausweist. Dies würde zu unnötigen Verzögerungen führen, zumal die Bundesregierung 2022 keinen Projektionsbericht vorgelegt hat. Überdies mangelt es an einer schlüssigen Begründung: Eine Projektion weist schließlich keine einmaligen Sondereffekte wie witterungsbedingte Ausschläge beim Heizenergieverbrauch auf und bedarf daher keiner doppelten Validierung. Ferner weist bereits der Projektionsbericht von 2021 eine klaffende Lücke zwischen Zielvorgaben und dem projizierten Emissionspfad aus. Seither hat sich kaum etwas getan, obwohl gerade in den Sektoren Gebäude und Verkehr entschlossenes Handeln notwendig ist. Im Verkehrssektor wurde schon für die Zielverfehlung 2021 kein auch nur im Ansatz angemessenes Sofortprogramm vorgelegt. Für die Verfehlung im Jahr 2022 ist nach geltendem Recht ein weiteres Sofortprogramm fällig. Die Novelle des Klimaschutzgesetzes darf daher nicht dazu dienen, die verfassungsrechtliche Nachsteuerungspflicht auszuhebeln. Sonst könnte noch mehr wertvolle Zeit verstreichen, ehe die Bundesregierung den offenkundigen Fehlentwicklungen entgegenwirkt.

Wenn der Projektionsbericht mehr in den politischen Fokus rückt, ist dessen Unabhängigkeit umso wichtiger. Die Bundesregierung sollte hier nicht wie bisher als Auftraggeberin fungieren, denn auf Basis des Berichts soll sie zur Nachsteuerung verpflichtet werden. Stattdessen könnte diese Rolle dem Bundestag übertragen werden. Darüber hinaus könnte eine Prüfung der Daten durch den Expertenrat für Klimafragen die wissenschaftliche Unabhängigkeit stärken.

Die Reform des Klimaschutzgesetzes bietet die Chance, Rechtsdurchsetzung, Planungssicherheit und Nachsteuerungsmechanismen zu verbessern. Wenn die Bundesregierung eine Langfriststrategie mit effektivem Policy-Mix und eine ambitionierte Reform des Brennstoffemissionshandelsgesetzes beschließt, stärkt sie die Klimaschutzarchitektur. Eine sektoral und zeitlich ausdifferenzierte Zielstruktur sollte auch in einem reformierten Klimaschutzgesetz enthalten sein. Dies gibt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft Orientierung, legt Verantwortlichkeiten fest und schafft Transparenz über den klimapolitischen Fortschritt.

Dieser Beitrag erschien zuerst als Standpunkt in: Tagesspiegel Background Energie & Klima

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