- Autor:innen
- Johanna Wietschel, Carl-Friedrich Elmer, Marion Vieweg, Dr. Wiebke Zimmer, Janna Aljets, Wolfgang Aichinger, Philine Gaffron, Philipp Kosok, Elisabeth le Claire, Dr. Urs Maier, Kerstin Meyer, Fanny Tausendteufel, Christian Hochfeld, Johannes Oetjen, Naville Geiriseb, Leon Berks, Ulf Neuling
- Publikationsnummer
- 119-2024-DE
- Versionsnummer
- 1.0
- Veröffentlichungsdatum
-
5. Dezember 2024
- Seitenzahl
- 42
- Zitiervorschlag
- Agora Verkehrswende (2024): Vom Fortschritt in Fragmenten zum Gemeinschaftswerk im Ganzen. Bilanz der Klimapolitik im Verkehr zum Ende der Ampelkoalition mit Empfehlungen für einen Kurs auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit.
- Projekt
- Diese Publikation wurde erstellt im Rahmen des Projektes Klimaneutrales Deutschland 2045.
Vom Fortschritt in Fragmenten zum Gemeinschaftswerk im Ganzen
Bilanz der Klimapolitik im Verkehr zum Ende der Ampelkoalition mit Empfehlungen für einen Kurs auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit.
- Einleitung
- Fazit: Fortschritte nur in Fragmenten
- Ausblick: Fünf Schwerpunkte für die nächste Legislaturperiode
- 1 | Faire Preise im Straßenverkehr
- 2 | Gemeinwohl im Stadtverkehr
- 3 | Mehr Angebote für den ländlichen Raum
- 4 | Offensive für den Nahverkehr
- 5 | Verdopplung der Fahrgastzahlen im Bahnverkehr
- 6.1 | Schnellhochlauf der Elektromobilität
- 6.2 | Zielgerichtete Nutzung klimaneutraler Kraftstoffe
- 7 | Stärkung der Schiene und Elektrifizierung der Straße im Güterverkehr
- 8 | Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung
- 9 | Strukturwandel in Industrie und Regionen
- 10.1 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Neue Allianzen
- 10.2 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Kommunen
- 10.3 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Int. Zusammenarbeit
Einleitung
Zum Ende der Regierungskoalition von SPD, Grünen und FDP und drei Jahre nach ihrem Amtsantritt am 8. Dezember 2021 zieht Agora Verkehrswende eine vorläufige Abschlussbilanz zur Klimapolitik im Verkehr.
Bereits vor der Bundestagswahl im September 2021 hatte Agora Verkehrswende mit der Publikation Vier Jahre für die Fairkehrswende eine umfassende Übersicht über die Instrumente und Maßnahmen vorgelegt, mit denen eine Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode die Klimaschutzziele im Verkehr für das Jahr 2030 auf dem Weg zur Klimaneutralität noch in Reichweite halten kann. Damit einher ging ein Plädoyer dafür, gleich zu Beginn der Amtszeit gemeinsam eine „Charta der Fairkehrswende“ zu erarbeiten, die dem Regierungshandeln als Karte und Kompass für eine sozial gerechte Klimapolitik im Verkehr dient und somit auch Orientierung und Verlässlichkeit für Politik, Wirtschaft und Gesellschaft bietet.
Die damals vorgeschlagenen Instrumente und Maßnahmen waren für Agora Verkehrswende ein Jahr später in der Publikation „Vom rasenden Stillstand zum versprochenen Fortschritt?“ der Maßstab, um die Klimapolitik der Bundesregierung im Verkehr zu bewerten. Die Ein-Jahres-Zwischenbilanz von Dezember 2022 fiel ernüchternd aus, weil es den Parteien der selbsternannten Fortschrittskoalition bis dahin nicht gelungen war, beim Klimaschutz im Verkehr ihre Grundwerte wie soziale Gerechtigkeit, Wirtschaftlichkeit oder Freiheit in einem gemeinschaftlichen Aktionsplan zusammenzuführen. Das im Klimaschutzgesetz vorgegebene Ziel, die Treibhausgasemissionen des Verkehrs bis 2030 im Vergleich zu 1990 etwa um die Hälfte zu reduzieren, war weiter in die Ferne gerückt. Zielgerichtete Pläne aus dem Koalitionsvertrag wie der schnelle Übergang zur Elektromobilität, die stärkere Förderung der Schiene und des öffentlichen Verkehrs sowie die umfassende Reform des Straßenverkehrsrechts waren zum damaligen Zeitpunkt nicht ausreichend mit Maßnahmen unterlegt. Das strukturelle Ungleichgewicht durch überholte Subventionen und Privilegien für den motorisierten Individualverkehr war weitgehend unangetastet geblieben. Die Treibhausgasemissionen des deutschen Verkehrssektors konnten, abgesehen von Sondereffekten infolge der Coronapandemie, praktisch nicht gebremst werden. Für den Klimaschutz im Verkehr waren die ersten zwölf Monate Ampelkoalition deshalb ein verlorenes Jahr, ein Jahr des rasenden Stillstands.
Zwei Jahre später, im Dezember 2024, hat sich der Eindruck des unzureichenden Fortschritts zementiert, denn damals ließen manche Vorhaben noch auf Besserung hoffen, war doch erst ein Teil der Amtszeit vergangen. Für die vorliegende Abschlussbilanz wurden wieder die gleichen Kriterien verwendet und die Bewertungen aktualisiert. Im Ergebnis zeigt die Bilanz, dass das Erreichte weder den Ankündigungen aus dem Koalitionsvertrag noch den ursprünglich selbst gesetzten Klimazielen entspricht. Als entscheidender Maßstab dienen aber nicht die Vorhaben aus dem Koalitionsvertrag, sondern alle Instrumente und Maßnahmen, die erforderlich sind, um beim Klimaschutz im Verkehr bis 2030 auf Kurs zu kommen. Gemessen wird also nicht der Abstand zu dem, was politisch vereinbart wurde, sondern zu dem, was notwendig ist. Damit ist auch beim Blick nach vorne besser zu erkennen, was zu tun bleibt. Es geht also vor allem darum, aus der Analyse des aktuellen Stands Hinweise für die Gestaltung der Zukunft zu gewinnen.
Fazit: Fortschritte nur in Fragmenten
Die Reform des Straßenverkehrsrechts ist aus Sicht der Verkehrswende wahrscheinlich einer der größten Erfolge der Ampelkoalition – auch wenn eine Verwaltungsvorschrift, die die Vorgaben der StVO konkretisiert und den Kommunen mehr Rechtssicherheit gibt, noch aussteht. Ansonsten sind vor allem im Güterverkehr Fortschritte zu verzeichnen – durch die Einführung einer CO₂-Komponente in die Lkw-Maut, die Verwendung der Hälfte der Einnahmen für das Schienennetz und die Initiativen zum Aufbau der Ladeinfrastruktur für Batterie-Lkw. Das Deutschlandticket hätte eine Erfolgsgeschichte werden können, wenn es mit einer Offensive für den Ausbau des öffentlichen Verkehrs verbunden gewesen wäre. Immerhin hat es den bundesweiten Zugang stark vereinfacht und mehr Aufmerksamkeit auf den öffentlichen Verkehr gelenkt.
Angesichts der Herausforderung, den Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral zu machen, können diese vereinzelten Fortschritte jedoch nur als Fragmente einer Verkehrswende gesehen werden. Bei aller Betriebsamkeit fehlte der Ampelkoalition gerade in den für den Klimaschutz im Verkehr zentralen Bereichen ein gemeinsames übergreifendes Zielbild als Grundlage für die Konzeption eines effektiven Instrumentenbündels. Zentrale politische Instrumente wurden nur ungenügend eingesetzt oder gar nicht erst angepackt. Deshalb ist der Verkehrssektor weder klima- noch industrie- oder sozialpolitisch auf Kurs. Um dies zu ändern, braucht es eine klare Strategie und entschlossenes gemeinsames Handeln in der Bundespolitik. Die Verkehrswende gelingt als Gemeinschaftswerk – sonst nicht.
Ausblick: Fünf Schwerpunkte für die nächste Legislaturperiode
Die Vorhaben, die die Parteien mit Blick auf die nächste Legislaturperiode für Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit im Verkehr berücksichtigen sollten, können fünf Schwerpunkten zugeordnet werden:
Finanzreform und Investitionsoffensive fördern Wohlstand und soziale Gerechtigkeit
Deutschland kann im Verkehrssektor bis 2045 klimaneutral werden – ohne Einbußen in der Mobilität und ohne Mehrkosten im Vergleich zu dem, was bis 2045 ohne Kurs auf Klimaneutralität ausgegeben werden müsste. Politisches Zögern würde entweder die Ausgaben oder die Treibhausgasemissionen in die Höhe treiben, mit all den damit verbundenen Risiken. Höhere Investitionen in die Zukunft braucht es sehr zeitnah, aber in Summe langfristig nicht mehr Geld. Vor allem braucht es mehr politischen Willen, um Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen.
Für den Aufbau der benötigten Kapazitäten bei Infrastrukturen und im öffentlichen Verkehr entwickelt die Bundesregierung eine verlässliche und verfassungskonforme Strategie sowie eine Finanzarchitektur, mit denen öffentliche Investitionen schnell, langfristig und im hinreichenden Umfang gesichert werden können. Für private Investitionen – vor allem in klimaverträglichere Fahrzeuge und deren Energieversorgung – benötigen Haushalte und Unternehmen am Klimaschutz orientierte Rahmenbedingungen, die Planungssicherheit gewährleisten. Von zentraler Bedeutung ist eine zeitnahe, am CO₂-Ausstoß orientierte Reform der Steuern, Abgaben und Subventionen rund um den Pkw – von Kfz- und Dienstwagenbesteuerung bis zu CO₂-Preis mit Klimageld und verursachergerechter Pkw-Maut. Damit lassen sich die Chancen und Lasten der Transformation sozial gerechter als heute verteilen.
Industrielle Transformation sichert Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung
Voraussetzung für einen langfristig erfolgreichen Wirtschaftsstandort Deutschland ist, dass die Industrie entschlossen in der begonnenen Transformation zur Klimaneutralität vorangeht. Für die Automobilindustrie sind die Chancen mit einem schnellen Hochlauf der Elektromobilität am größten. Dafür sind Orientierung und Planbarkeit sowie ein starker Heimatmarkt für Elektrofahrzeuge unerlässlich. Deshalb braucht es in den kommenden Jahren auf europäischer wie auf nationaler Ebene eine stärkere Verknüpfung von Industrie- und Klimapolitik.
Das Fundament werden weiterhin ambitionierte CO₂-Flottengrenzwerte sein, die es politisch zu flankieren gilt – mit Instrumenten zum Hochlauf der Elektromobilität in gewerblichen Flotten; mit wirtschaftlichen Anreizen, die vor allem kleinere Elektroautos günstiger machen; und mit einem weiterhin schnellen Ausbau der Ladeinfrastruktur. Besonders effektiv ist ein Instrumentenbündel, das fossile Subventionen abbaut und den Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor die Kosten anrechnet, die sie für die Volkswirtschaft verursachen. Auf EU-Ebene kann sich die Bundesregierung in der Vorbereitung des Clean Industrial Deal für die Automobilindustrie für mehr Investitionen in die Batteriewertschöpfungskette und für die Ansiedlung chinesischer Batterie- und Fahrzeughersteller nach gemeinsamen Regeln für den europäischen Markt stark machen.
Bis Mitte dieses Jahrhunderts sind auch die automobilen Wertschöpfungsketten klimaneutral zu gestalten. Um Klimaschutz dort als harten Wirtschaftsfaktor geltend zu machen – zum Beispiel in der Batterieproduktion oder bei der Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen – ist zwingend eine internationale Harmonisierung und Weiterentwicklung der Methoden zur Berechnung der CO₂-Emissionen entlang der Wertschöpfungskette erforderlich. Fahrzeuge und ihre Bestandteile werden schließlich gemäß der Circular-Car-Vision nahezu komplett wiederverwertbar sein und soweit wie möglich mit sekundären Rohstoffen produziert werden. Dafür verfolgt die Bundesregierung eine Handelspolitik, die den weltweit fairen Markthochlauf der Elektromobilität beschleunigt und nicht über Hemmnisse bremst.
Integration der Elektromobilität in die Stromnetze senkt Kosten, beschleunigt den Ausbau von erneuerbarer Stromerzeugung und fördert den Hochlauf von E-Autos
Mit der industriellen Transformation und dem Hochlauf der Elektromobilität wachsen die Sektoren Verkehr und Strom mehr und mehr zusammen. Der Stromsektor liefert den erneuerbaren Strom, um die Emissionen im Verkehrssektor zu senken; der Verkehrssektor bietet dem Stromsektor zusätzliche Flexibilität, etwa durch die gezielte Steuerung der Ladevorgänge sowie durch Einspeisung von Strom, der in Fahrzeugbatterien gespeichert ist, in das Netz.
Die Möglichkeit, bidirektional zu laden – vom Netz in die Batterie und von der Batterie ins Netz, birgt ein erhebliches Potenzial zur Senkung der Kosten sowohl für die Enerige- als auch für die Verkehrswende. Ein effektives Management der Ladenachfrage hilft, den Energiebedarf effizienter zu decken und gleichzeitig die Auslastung des Stromnetzes zu erhöhen. Diese Kosteneinsparungen im Stromnetz können wiederum genutzt werden, um die Ladekosten der Elektromobilität für die Nutzer:innen zu senken und so den Wechsel zum Elektroauto zu unterstützen. Um diese Potenziale zu erschließen, gestaltet die Bundesregierung die Rahmenbedingungen basierend auf einem klaren Zielbild und setzt sie entsprechend um.
Klimaneutrale Kraftstoffe komplettieren das Ende des fossilen Zeitalters
Klimaneutrale Kraftstoffe sind dort eine wichtige Ergänzung für den Klimaschutz im Verkehr, wo es keine batterieelektrische Lösung gibt – insbesondere im Luft- und Seeverkehr. Biokraftstoffe werden jedoch nur begrenzt verfügbar sein, weil solche, die konventionell aus Energiepflanzen gewonnen werden, in Nutzungskonkurrenz mit der Lebens- und Futtermittelproduktion stehen; und weil die sogenannten fortschrittlichen aus Rest- und Abfallstoffen keine flexibel erweiterbare Rohstoffbasis haben.
Bei grünem Wasserstoff und klimaneutralen synthetischen Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels, die mit erneuerbarem Strom und aus der Atmosphäre gewonnenem CO₂ hergestellt werden – sind rein technisch deutlich größere Mengen denkbar. Sie sind unerlässlich zur Erfüllung verschiedener regulatorischer Vorgaben im Rahmen der europäischen Klimapolitik. Gleichzeitig bleiben E-Fuels wenig energieeffizient und werden aller Voraussicht nach in den nächsten Jahrzehnten nur sehr begrenzt verfügbar und teuer sein. Deshalb sind sie zielgerichtet zu produzieren und zu nutzen.
Der industrielle Markthochlauf zur Produktion solcher Kraftstoffe stockt bislang erheblich. Es braucht ein langfristiges verkehrsträger- sowie sektorenübergreifendes politisches Konzept, das über 2030 hinaus Planungssicherheit gewährleistet und weitere Anreize und Mechanismen entwickelt, um insbesondere die ersten Produktionsanlagen zu realisieren. Nur so lassen sich Lerneffekte und Kostenreduktionen erzielen, um E-Fuels wettbewerbsfähig zu machen. Durch ein engagiertes Vorangehen kann die Politik Deutschland eine Vorreiterrolle und damit verbundene Technologieführerschaft verschaffen und die weltweite Produktion von strombasierten klimaneutralen Kraftstoffen mitgestalten.
Bezahlbare Mobilität für alle gewährleistet gleichwertige soziale Teilhabe in Stadt und Land
Die Preise für Benzin und Diesel werden weiter steigen, je mehr die volkswirtschaftlichen Kosten für das Verbrennen von fossilen Ressourcen darin enthalten sind. Eine markante Preissteigerung ist für 2027 absehbar, wenn der Europäische Emissionshandel auf die Sektoren Gebäude und Verkehr ausgeweitet wird. Umso mehr braucht es eine Gesamtstrategie, wie insbesondere Menschen mit geringem bis mittlerem Einkommen, die bisher auf ein eigenes Fahrzeug mit Verbrennungsmotor angewiesen sind, auf klimaneutrale Alternativen umsteigen können – seien es günstige Elektrofahrzeuge oder ein attraktiver Verbund aus Bus und Bahn, flexiblen Sharing- oder Shuttle-Diensten sowie dem Fahrrad.
Etwa 20 Millionen Menschen meist in ländlichen Gebieten haben derzeit in Deutschland an ihrem Wohnort kein brauchbares Angebot des öffentlichen Verkehrs vor der Tür und können daher auch nicht vom Deutschlandticket profitieren. Dort braucht es bessere Angebote im regionalen Schienenverkehr oder schnelle Taktlinienbusse auf verkehrsreichen Achsen sowie Zubringer und Flächenerschließung auf der letzten Meile mit flexiblen On-Demand-Fahrzeugen. Im größeren Maßstab wird dies aufgrund des Personalmangels und der Personalkosten mittelfristig nur mit automatisierten Fahrzeugen möglich sein. Die Förderung des autonomen Fahrens speziell im öffentlichen und Güterverkehr ist für Deutschland industrie- wie auch verkehrspolitisch von hoher Bedeutung. Das übergeordnete Ziel ist eine Mobilitätsgarantie, die flächendeckend ein Mindestangebot des öffentlichen Verkehrs als Daseinsvorsorge gewährleistet und so die soziale Teilhabe erleichtert. Gleichzeitig werden in dünn besiedelten Regionen private Autos weiterhin eine wichtige Rolle spielen, aber mit elektrischem Antrieb. Auf dem Land sind die Bedingungen für Elektroautos und Ladeinfrastruktur in Kombination mit dezentraler Erzeugung von Wind- und Solarstrom besonders günstig. Eine neue Offensive für die Elektromobilität im ländlichen Raum kann auch dazu beitragen, das Leben dort attraktiver zu machen. Im Stadtverkehr geht es darum, saubere und sichere Mobilität für alle zu ermöglichen und den wertvollen öffentlichen Raum für die Stadtgesellschaft attraktiv zu gestalten, indem er effizient und gerecht zwischen den Verkehrsträgern verteilt wird.
1 | Faire Preise im Straßenverkehr
Status
An den fiskalischen Rahmenbedingungen hat sich nur wenig geändert. Nennenswert sind die Berücksichtigung von Klimaschadenskosten in der Lkw-Maut und ihre Ausweitung auf mehr Fahrzeuge. Kaufzuschüsse für E-Pkw wurden Ende 2023 abgeschafft. Das Pkw-Label informiert jetzt besser über CO2-Ausstoß und Kosten. Der CO2-Preis liegt wieder auf dem ursprünglich vereinbarten Pfad, nachdem eine geplante Erhöhung zwischenzeitlich ausgesetzt wurde. Der nationale CO2-Preis wird 2027 vom EU-weiten Emissionshandel (ETS2) ersetzt. Der begleitende Klima-Sozialfonds soll besonders betroffenen Gruppen den Übergang zu klimafreundlichen Technologien und kurzfristige Ausgleichszahlungen ermöglichen. Die Kfz-Besteuerung bleibt weitgehend unverändert, mit Ausnahme der Ausdehnung von Privilegien für E-Dienstwagen auf höherpreisige Modelle; eine geplante Entlastung für E-Fuel-Only-Fahrzeuge kommt wohl nicht mehr. Eine Pkw-Maut zur verursachergerechten Anlastung von Infrastruktur- und Umweltkosten ist nicht in Sicht.
Beurteilung
Der bei den fiskalischen Instrumenten eingeschlagene Weg weist, insbesondere für Pkw, nicht in eine klimaneutrale Zukunft. Die fiskalische Gesamtarchitektur bleibt zugleich sozial unausgewogen. Die Bundesregierung unterstützt die notwendige Elektrifizierung der Pkw-Flotte unzureichend und in erster Linie durch Steuerprivilegien wie der Dienstwagenbesteuerung, die vor allem einkommensstarken Haushalten zugutekommen. Die abrupte Abschaffung der Kaufprämie für E-Pkw sowie öffentliche Diskussionen um die bereits beschlossenen Flottengrenzwerte verunsichern Bevölkerung und Industrie und verlangsamen die Elektrifizierung. Dadurch wiegt das Fehlen einer wirksamen Kfz-Besteuerung CO₂-intensiver Pkw umso schwerer. Beim Abbau klimaschädlicher Subventionen gibt es keine Fortschritte. Entwicklungen wie die Ausweitung der Lkw-Maut und die Überarbeitung des Pkw-Labels weisen in die richtige Richtung, sind aber insgesamt nicht ausreichend.
Empfehlung
Abgaben und Subventionen richten sich konsequent am Klimaschutz aus, sind sozial ausgewogen gestaltet und tragen zu einer verursachergerechten Finanzierung des Verkehrssystems bei. Die CO₂-Bepreisung fossiler Kraftstoffe führt planbar entlang eines ambitionierten Pfads: durch die Anhebung des CO2-Preises im Brennstoff-Emissionshandel (BEHG) und die nationale Absicherung eines Mindestpreisniveaus nach der ETS2-Einführung. Für den sozialen Ausgleich werden Einnahmen direkt zurückverteilt; Förderprogramme ermöglichen besonders Betroffenen den Umstieg auf E-Pkw beziehungsweise den öffentlichen Verkehr. Über Kauf-, Kredit- oder Leasing-Unterstützung setzt die neue Bundesregierung Anreize für günstige, effiziente E-Pkw. Sie weitet die Lkw-Maut auf alle Straßen aus und beschließt eine fahrleistungsabhängige Maut für Pkw. Die Kfz-Steuer wird zu einer CO2-basierten, bei der Erstzulassung fälligen Zahlung. Eine umfassende Reform der Dienstwagenbesteuerung baut Privilegien für Verbrenner ab.
2 | Gemeinwohl im Stadtverkehr
Status
Laut Koalitionsvertrag sollte das Straßenverkehrsrecht umfassend reformiert werden, um Kommunen mehr Entscheidungsspielräume zu gewähren und Planungs- und Verwaltungsverfahren zu vereinfachen. Neue, gemeinwohlorientierte Ziele (Klima- und Umweltschutz, Gesundheit und städtebauliche Entwicklung) wurden nach längeren politischen Verhandlungen 2024 ins Straßenverkehrsgesetz (StVG) aufgenommen, die Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) angepasst. Die Verwaltungsvorschrift zur StVO (VwV-StVO), die die Anwendung der StVO konkretisiert, sollte Ende des Jahres vorliegen und im Frühjahr 2025 in Kraft treten. Die Mittel für den Radverkehr wurden im Haushalt 2024 nach einer Erhöhung 2022 wieder gesenkt, jene für den Fußverkehr leicht erhöht. Die Fußverkehrsstrategie wurde als Entwurf zur Verbändeanhörung verschickt, aber bislang nicht verabschiedet. Rechtliche Voraussetzungen für die Digitalisierung der Parkraumbewirtschaftung oder für Nullemissionszonen hat die Bundesregierung nicht vorangebracht.
Beurteilung
Die Reform des Straßenverkehrsrechts war die wichtigste Maßnahme der Bundesregierung für die Mobilitätswende in Kommunen und wurde dort an hohe Erwartungen geknüpft. Das nun reformierte StVG bildet ein gutes Fundament für einen Paradigmenwechsel im Straßenverkehrsrecht. Die entsprechend angepasste StVO hat Kommunen, die den Umweltverbund stärken wollen, in manchen Bereichen rechtlichen Rückenwind gegeben. Ob sie damit auch vom Planungs- und Verwaltungsaufwand entlastet werden, hängt von der Ausgestaltung der VwV-StVO ab. Im Hinblick auf die kommunale Handlungsfreiheit geht die Reform aber noch nicht weit genug. Die ab 2025 geplante Verstetigung der Bundesmittel für die Fuß- und Radverkehrsförderung ist zwar für die kommunale Planungssicherheit sehr zu begrüßen, doch die zugesagten Gelder liegen weit unter dem von den Ländern aufgerufenen Finanzierungsbedarf.
Empfehlung
Die neue Bundesregierung löst Investitionsstaus auf. Sie baut den Umweltverbund in Umfang und Qualität über eine höhere und langfristig abgesicherte Finanzierung aus. Durch Bürokratieabbau, mehr Digitalisierung in der Verwaltung (etwa in der Parkraumüberwachung) und praxisnahe Verwaltungsvorschriften können Ressourcen und Personal effektiver eingesetzt werden. Die Bundesregierung greift dabei mehr Vorschläge von Kommunen und Verbänden auf (siehe Kapitel 10.2.). Bei der Gestaltung der Verkehrsinfrastruktur und des Mobilitätsangebots werden insbesondere die Mobilitätsbedürfnisse von Kindern, einkommensarmen und älteren bzw. schwächeren Menschen im Sinne des Gemeinwohls berücksichtigt. Weitere Anpassungen des Straßenverkehrsrechts schaffen mehr Handlungsspielräume für Kommunen, präventiv entsprechend der Vision Zero für mehr Verkehrssicherheit zu sorgen, statt nur auf vorhandene Gefahren zu reagieren.
3 | Mehr Angebote für den ländlichen Raum
Status
Ländliche Regionen brauchen mehr erschwingliche und alltagstaugliche Mobilitätsangebote, um die Abhängigkeit vom privaten Pkw zu verringern. Die Bundesregierung setzte sich im Koalitionsvertrag „gute Lebensverhältnisse in Stadt und Land” als Ziel. Dafür stellte sie unter anderem mehr finanzielle Mittel für den Ausbau der Schieneninfrastruktur im Nahverkehr bereit. Auch die Regionalisierungsmittel wurden erhöht, gleichzeitig stiegen allerdings die Betriebskosten der Regionalbahn- und Regionalbusverkehre. Der Radinfrastrukturausbau an Bundesstraßen und die Errichtung von Radabstellanlagen an Bahnhöfen kamen kaum voran. Zur Förderung von Elektroautos wurde im Masterplan Ladeinfrastruktur II die Einrichtung neuer Stellen für Regionalmanager:innen für Ladeinfrastruktur beschlossen, aber nicht umgesetzt. Im Raumordnungsgesetz wurde verkehrssparsame Siedlungsentwicklung als Leitbild hervorgehoben. Ein Recht auf Homeoffice wurde jedoch nicht geschaffen.
Beurteilung
Ländliche Räume sind weiterhin oft verkehrlich schlecht angebunden; klimafreundliche Mobilitätsangebote hätten deutlich schneller ausgebaut werden müssen. Im Regionalbahn- und Regionalbusverkehre reichten die Regionalisierungsmittel nicht für eine Angebotsoffensive. Eine Mobilitätsgarantie für die Menschen auf dem Land wurde nicht umgesetzt, sodass viele Menschen nach wie vor keine alltagstaugliche und bezahlbare Alternative zum eigenen Auto haben. Das liegt auch am langsamen Ausbau der ländlichen Radinfrastruktur. Für die strukturierte Planung von Ladeinfrastruktur fehlt Personal, da die vorgesehenen Stellen nicht geschaffen wurden. Die Bundesregierung ließ entgegen ihren Ankündigungen die Chance ungenutzt, den Pendelverkehr langfristig durch ein Recht auf Homeoffice zu reduzieren. Stattdessen hielt sie an klimaschädlichen Verkehrsanreizen wie der Entfernungspauschale fest.
Empfehlung
Auch wenn das Auto das bestimmende Verkehrsmittel auf dem Land bleiben wird, schafft die neue Bundesregierung Rahmenbedingungen, dass Menschen nicht mehr zwingend auf ein eigenes Auto angewiesen sind und motorisierter Verkehr zunehmend elektrisch wird. Sie definiert mit einer Mobilitätsgarantie Ziele für den ÖPNV auf dem Land und sichert deren dauerhafte, auskömmliche Finanzierung (siehe Kapitel 4 und 5). Sie treibt die Entwicklung und den Einsatz geteilt genutzter autonomer Fahrzeuge (On-Demand-Verkehre) vorrangig im ländlichen Raum voran. Dafür fördert sie große Feldversuche und gestaltet EU-Regelungen mit. Der Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen sowie von Ladeinfrastruktur (siehe Kapitel 6) wird beschleunigt. Die Bundesregierung verbessert den Rahmen für den schnelleren Ausbau der Glasfaser-, Strom- und Mobilfunknetze und damit die Lebensverhältnisse auf dem Land. Das fördert das Homeoffice, E-Ladestationen an Orten des täglichen Lebens und autonome Verkehre.
4 | Offensive für den Nahverkehr
Status
Nach Ausbruch der Coronapandemie unterstützte die Bundesregierung die Nahverkehrsbranche erheblich, als Fahrgastzahlen und die Einnahmen stark zurückgingen. Nach dem populären 9-Euro-Ticket führte sie 2023 das Deutschlandticket ein. Die Bundesregierung übernimmt dabei die Hälfte der durch das Deutschlandticket verursachten Einnahmenverluste. Die Finanzierung des Tickets nach 2025 bleibt ungewiss. Die erhöhten Regionalisierungsmittel helfen den Verkehrsunternehmen zwar, die Einnahmenausfälle und die stark gestiegenen Betriebskosten teilweise zu kompensieren, erlauben aber keinen Ausbau des Angebots. Der im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausbau- und Modernisierungspakt wurde nicht umgesetzt. Ebenso stehen die angekündigten Standards für Angebot und Erreichbarkeit aus.
Beurteilung
Die Rettungsmaßnahmen während der Coronapandemie haben sich als effektiv erwiesen. Das Deutschlandticket vereinfacht und vergünstigt die Nutzung des Nahverkehrs, berücksichtigt aber einkommensschwache Gruppen noch nicht ausreichend. Rettungsmaßnahmen und Deutschlandticket spielten eine entscheidende Rolle dabei, die Fahrgastzahlen wieder auf das Vorkrisenniveau zu bringen. Allerdings verschärfen die dadurch bedingten Rückgänge bei den Ticketeinnahmen die bestehenden Finanzierungsprobleme. Es mangelt an konkreten Planungen und langfristigen Finanzierungszusagen für eine notwendige Angebotsoffensive. Die Bundesregierung hat keinen Vorschlag zu den im Koalitionsvertrag angekündigten und dringend benötigten bundesweiten Angebots- und Qualitätsstandards vorgelegt. Es fehlt eine umfassende ÖPNV-Strategie der Bundesregierung, die Angebotsausbau, Finanzierung und die Preisgestaltung für Fahrgäste gemeinsam betrachtet.
Empfehlung
Um Angebot, Nachfrage und Qualität im Nahverkehr zu steigern, setzt die neue Bundesregierung auf drei Maßnahmen: einfache und bezahlbare Tarife, eine bundesweite Mobilitätsgarantie sowie Ausbau und Modernisierung überlasteter und veralteter Infrastrukturen. Dafür schließt sie mit Bundesländern und Kommunen einen Ausbau- und Modernisierungspakt, der einen signifikanten Angebotsausbau bis 2030 vorsieht, bessere Arbeitsbedingungen für das Personal ermöglicht und eine Finanzierungsvereinbarung beinhaltet. Die Ausbauziele stehen im Einklang mit dem Klimaschutzziel im Verkehr. Um der Personalknappheit zu begegnen, unterstützt die Bundesregierung Vorhaben zur Automatisierung des öffentlichen Verkehrs, etwa bei den On-Demand-Verkehren. Die Anschaffung von E-Bussen wird wieder gefördert. Der zusätzliche Finanzierungsbedarf wird auch durch Initiativen zur gemeinsamen Beschaffung minimiert. Die Bundesregierung finanziert die Nahverkehrs-Offensive auch durch eine Pkw-Maut (siehe Kapitel 1).
5 | Verdopplung der Fahrgastzahlen im Bahnverkehr
Status
Nach einem Tiefstand der Fahrgastzahlen infolge der Coronapandemie verzeichnet die Bahn inzwischen drei Prozent mehr Fahrgäste als vor der Pandemie. Das Deutschlandticket macht das Reisen im Regionalverkehr einfacher und erschwinglicher. Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit haben jedoch abgenommen, weil das Schienennetz überlastet ist und an vielen Stellen saniert wird. Die Investitionen in das Schienennetz sind stufenweise deutlich gestiegen, auch weil nun die Hälfte der Erträge aus der Lkw-Maut für die Schiene genutzt wird. Schwerpunkt der Investitionen ist die Generalsanierung des Hauptstreckennetzes. Der Netzausbau ist untergeordnet. Elektrifizierung und Streckenreaktivierung kommen kaum voran, dank Gesetzesänderungen und wachsenden Mitteln gemäß Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz (GVFG) sind Verbesserungen zukünftig aber eher möglich. Innerhalb des DB-Konzerns wurden die Infrastruktursparten in der neu gegründeten Gesellschaft InfraGO zusammengeführt.
Beurteilung
Das Deutschlandticket sorgt für höhere Fahrgastzahlen im Regionalverkehr, bleibt jedoch als isolierte Maßnahme zu schwach und verliert durch die Preiserhöhung und Finanzierungsunsicherheit an Wirkung. Das Schienennetz bleibt der Flaschenhals beim Wachstum des Bahnverkehrs. Die zunehmenden Sanierungstätigkeiten lassen zum Ende des Jahrzehnts eine verbesserte Qualität erwarten. Aufgrund der geringen Neubautätigkeiten ist eine vollständige Umsetzung des Deutschlandtaktes nicht absehbar. Die höheren Regionalisierungsmittel reichen für eine substanzielle Verbesserung des Regionalbahnangebots nicht aus. Faire Bedingungen im Wettbewerb von Schiene und Straße sind nicht in Sicht. So zahlen Bahnunternehmen hohe Gebühren für die Nutzung des Schienennetzes, während der Pkw-Verkehr von einer Maut befreit ist. Wegen der Eigenkapitalerhöhung für die Deutsche Bahn drohen die Gebühren weiter zu steigen. Eine Verdopplung der Fahrgastzahlen bis in die 2030er Jahre ist keineswegs absehbar.
Empfehlung
Das zentrale Ziel der Bahnpolitik bleibt, die Zahl der Fahrgäste langfristig zu verdoppeln und die Qualität des Bahnverkehrs deutlich zu verbessern. Die neue Bundesregierung richtet die Führung des DB-Konzerns auf dieses Ziel aus. Die Realisierung des Deutschlandtakts schreitet voran, in dem die Bundesregierung ein verbindliches Konzept für den etappenweisen Netzausbau vorlegt. Ein erheblicher Anstieg der Trassenpreise wird vermieden (siehe Kapitel 8). Die Grundsanierung von Hauptstrecken wird bis Ende des Jahrzehnts abgeschlossen. Ein Moderne-Schienen-Gesetz erleichtert die Elektrifizierung und Digitalisierung der Bahn, ein Investitionsfonds sichert ab, dass notwendige Investitionen stetig und langfristig in die Schiene fließen. Die Bundesregierung unterstützt die Bundesländer beim Angebotsausbau, indem sie die Regionalisierungsmittel deutlich erhöht. Sie sichert die Finanzierung des Deutschlandtickets für mehrere Jahre im Voraus.
6.1 | Schnellhochlauf der Elektromobilität
Status
Die Bundesregierung hatte sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, die politischen Rahmenbedingungen so zu setzen, dass Deutschland bis 2030 zum Leitmarkt für Elektromobilität wird – mit dann 15 Millionen rein elektrischen Pkw. Derzeit sind etwa 1,6 Millionen von mehr als 49 Millionen Pkw batterieelektrisch. Außerdem sind zirka 3.000 von insgesamt rund 86.000 Bussen elektrisch. Im Herbst 2022 verabschiedete die Bundesregierung den Masterplan Ladeinfrastruktur II, der sich mittlerweile in der Umsetzung befindet. Im März 2023 beschloss die EU die Neuregelung der CO2-Grenzwerte für Pkw. Die Diskussionen um diese – und um E-Fuels – wurden im Europawahlkampf und danach weiter vehement geführt. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformationsfonds stellte die Bundesregierung die Kaufprämie für E-Pkw im Dezember 2023 sehr kurzfristig ein. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen wurde nicht eingeführt.
Beurteilung
Die beschlossenen Maßnahmen sind nicht ausreichend, um den Hochlauf der Elektromobilität sicherzustellen. Wird auf weitere Maßnahmen verzichtet, verfehlt Deutschland das 15-Millionen-Ziel um sechs Millionen Pkw. Somit läuft Deutschland auch Gefahr, die sektorübergreifenden Klimaziele zu verfehlen. Die CO2-Grenzwerte sind von zentraler Bedeutung für das Angebot an elektrischen Pkw. Die wiederholte Diskussion um E-Fuels, die Ankündigung, sich für eine schnellere Revision der Grenzwerte einzusetzen sowie das abrupte Streichen der Kaufprämie verunsichern potentielle Kund:innen und schaden der Planungssicherheit. Bei der Ladeinfrastruktur stechen das Schnellladegesetz und das Lkw-Ladenetz positiv hervor, bei Lademöglichkeiten an Gebäuden fehlt jedoch noch viel. Einige der Initiativen zur Anbindung an die Stromnetze sind nicht weitreichend genug. Es gibt zwar Feldversuche zum autonomen Fahren im ÖPNV, doch eine grundsätzliche Roadmap fehlt weiterhin.
Empfehlung
Die neue Bundesregierung setzt sich für die im EU Green Deal vereinbarten CO2-Flottengrenzwerte für Pkw und Lkw ein. Sie führt zusätzliche Maßnahmen ein, um das 15-Millionen-Ziel im Jahr 2030 möglichst noch zu erreichen. Sie beschließt Förderprogramme, die auch Haushalten mit niedrigen und mittleren Einkommen den Umstieg auf E-Pkw erleichtern, sei es durch Kauf-, Kredit- oder Leasing-Unterstützung für günstige und gegebenenfalls gebrauchte Fahrzeuge. Außerdem reformiert sie die Kfz-Steuer (siehe Kapitel 1) und sichert Finanzierungshilfen für E-Busse. Sie beschließt das neue Gebäudegesetz für mehr Ladeinfrastruktur an Supermärkten, Arbeitsorten und Tankstellen und fördert preisgünstigeres Laden für Pkw ohne eigenen Stellplatz. Sie arbeitet weiter an der Integration von Ladeinfrastruktur in das Stromsystem. Sie verabschiedet außerdem ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen.
6.2 | Zielgerichtete Nutzung klimaneutraler Kraftstoffe
Status
Die Bundesregierung konzentriert sich bei der Einführung synthetischer Kraftstoffe aus erneuerbarem Strom, sogenannte E-Fuels, im Verkehrssektor vor allem auf den Straßenverkehr. Das zeigen ihr Einsatz für ausschließlich mit E-Fuels betankte Fahrzeuge im Rahmen der EU-Flottengrenzwerte, die Anpassung der Verordnung für den Vertrieb reiner E-Fuels im Straßenverkehr, die Mehrfachanrechnungen im Rahmen der Treibhausgasminderungsquote und die Entlastungspläne bei der Energiesteuer. Für den Luft- und Seeverkehr wurden beratende Gremien eingerichtet, aber konkrete Fördermaßnahmen für den Luftverkehr wie „PtL-Kero“ wurden haushaltsbedingt nicht umgesetzt. Auch wurden die europäischen Vorgaben zu Quotenregulierungen für den Luft- und Seeverkehr sowie die revidierte Erneuerbare-Energien-Richtlinie bislang nicht in nationales Recht überführt.
Beurteilung
Die regulatorischen Rahmenbedingungen für den Markthochlauf von E-Fuels sollten auf deren Verwendung im Luft- und Seeverkehr zielen, da es in diesen Bereichen in absehbarer Zeit keine alternativen Möglichkeiten zur Defossilisierung gibt. Dass die Bundesregierung für diese Verkehrssegmente Förderungen gestrichen und auf der anderen Seite die Nutzung im Pkw-Bereich forciert hat, ist deshalb als äußerst kritisch zu bewerten. Gerade der demonstrative Einsatz der Bundesregierung auf EU-Ebene für mit E-Fuels betriebene Neufahrzeuge im Rahmen der EU-Flottengrenzwerte hat zu einer erheblichen Verunsicherung bei der Kaufentscheidung für klimafreundliche Fahrzeuge beigetragen. Das wirkt sich auch negativ auf den Absatz von Elektrofahrzeugen aus – obwohl diese viel effizienter sind als mit E-Fuels betriebene Verbrenner. Der Arbeitskreis klimaneutrale Luftfahrt hat einen geeigneten Vorschlag zur Einführung einer Abgabe für den Hochlauf nachhaltiger Flugkraftstoffe erarbeitet. Eine zeitnahe Umsetzung ist aber nicht absehbar.
Empfehlung
Die Bundesregierung konzentriert sich in der kommenden Legislaturperiode darauf, den stockenden Hochlauf der Produktion strombasierter Kraftstoffe für Luft- und Seeverkehr zu beschleunigen. Dank staatlicher Flankierung werden langfristige Abnahmeverträge zwischen Produzenten und Airlines beziehungsweise Schifffahrtsunternehmen geschlossen. Dafür setzt die Bundesregierung die relevanten EU-Vorgaben zügig um und nutzt Instrumente wie die vorgeschlagene Abgabe für nachhaltige Flugkraftstoffe, Förderrichtlinien wie „PtL-Kero“ oder Aufstockungen für den H2-Global-Mechanismus. E-Fuels werden langfristig aus dem Ausland importiert werden müssen. Deshalb setzt sich die Bundesregierung international dafür ein, ökologische und soziale Nachhaltigkeitskriterien für E-Fuels zu etablieren. Ein entsprechender Kriterienkatalog könnte im Rahmen einer Überarbeitung der Wasserstoffimportstrategie vorgelegt werden.
7 | Stärkung der Schiene und Elektrifizierung der Straße im Güterverkehr
Status
Die Elektrifizierung und Digitalisierung des Schienennetzes verlaufen schleppend. Gesetzliche Neuerungen vereinfachen jedoch Planung und Modernisierungsmaßnahmen. Die Gleisanschlussförderung ist gegenüber den Vorjahren konstant geblieben. Die Trassenpreisförderung für den Schienengüterverkehr ist gesunken, während die Trassenpreise aufgrund der Eigenkapitalerhöhung der Deutschen Bahn ansteigen. Die Lkw-Maut hat eine CO2-Komponente erhalten. Etwa die Hälfte der Einnahmen fließt ins Schienennetz. Der CO2-Preis auf Diesel wird Unternehmen nicht erstattet. Die Förderung für klimafreundliche schwere Nutzfahrzeuge und deren Infrastruktur ist beendet. Bis Ende Oktober 2024 konnten Unternehmen eine geringere Förderung für gewerbliche Schnelllader erhalten. Öffentliche Mittel für Tank- und Ladeinfrastruktur fließen prioritär in das öffentliche Lkw-Ladenetz auf den Flächen des Bundes. Seit 2024 bestellt der Bund die Netzanschlüsse. Aufbau und Betrieb von Lkw-Ladepunkten an unbewirtschafteten Rastanlagen sind ausgeschrieben.
Beurteilung
Die neue CO2-Komponente bei der Lkw-Maut und der begonnene Aufbau des öffentlichen Ladenetzes sind wichtige Bausteine für die Elektrifizierung des Straßengüterverkehrs. Angesichts der massiven Kürzungen nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts sind der Erhalt und die Priorisierung der öffentlichen Mittel für die Lkw-Ladeinfrastruktur positiv hervorzuheben – auch wenn das abrupte Ende des Förderprogramms für Klimaschonende Nutzfahrzeuge und Infrastruktur sowie die Doppelbelastung durch CO2-Maut und CO2-Preis die Branche verunsichert haben. Die Teilverwendung der Einnahmen aus der Lkw-Maut für die Schiene ist ebenso wie die steigenden Investitionsmittel für die Schiene aus dem Bundeshaushalt positiv zu bewerten. In dieser Legislatur haben sich diese Maßnahmen jedoch noch nicht in signifikanten Besserungen der Schieneninfrastruktur niedergeschlagen. Zur Bewertung des weiteren Fortschritts müssen Infrastrukturvorhaben wie die Korridorsanierungen abgewartet werden.
Empfehlung
Mit Blick auf die spezifischen Bedürfnisse des Schienengüterverkehrs stärkt die neue Bundesregierung die Resilienz des Schienennetzes, indem sie durch die Elektrifizierung von Ausweichstrecken und die Digitalisierung von Stellwerken die Streckenkapazitäten erhöht. Sie reformiert die Trassenpreise und dämpft damit die Preissteigerung (siehe Kapitel 8). Die Bundesregierung schafft Planungssicherheit für Lkw-Betreiber, indem sie die Förderung für private Ladeinfrastruktur in den Betrieben ausbaut und verstetigt. Für öffentliche Ladepunkte jenseits der Flächen des Bundes entwickelt sie Förderinstrumente. Bei der Anschaffung von E-Lkw unterstützt die Bundesregierung bei fortwährend angespannter Haushaltslage und in vielen Fällen niedrigerer Gesamtkosten von Batterie-Lkw gezielt kleinere Frachtunternehmen bei der Bewältigung der hohen Vorabinvestitionen. Flankiert wird dies durch Rahmenbedingungen für schnellere Stromnetzanschlüsse und variable Netzentgelte.
8 | Nachhaltige Verkehrsinfrastrukturplanung und -finanzierung
Status
Die öffentlichen Mittel für die Schieneninfrastruktur übertreffen nun jene für Straßeninfrastruktur erheblich. Allerdings steigen bei der Straße neben den Mitteln für den notwendigen Erhalt auch die für den Neu- und Ausbau. 138 Ausbauprojekte können dank Genehmigungsbeschleunigungsgesetz sogar zügiger umgesetzt werden. Im Herbst 2024 veröffentlichte die Bundesregierung die Basisvariante der Verkehrsprognose 2040. Die darin prognostizierte Verkehrsentwicklung verfehlt die Ziele für CO2-Minderung bis 2030 und für die Verlagerung auf die Schiene. Die Bedarfsplanüberprüfung für den Bundesverkehrswegeplan ist abgeschlossen, wurde aber bisher nur im Verkehrsausschuss (teilweise) vorgestellt. Die Lkw-Maut wurde um einen CO2-Aufschlag erhöht und auf Lkw ab 3,5 Tonnen ausgeweitet. Die Einnahmen fließen nach der Reform fast zur Hälfte in die Schiene – größtenteils über Eigenkapitalerhöhungen für die Deutsche Bahn. Hinsichtlich der langfristigen Finanzierung von Infrastruktur wurden Fondslösungen diskutiert.
Beurteilung
Trotz der Verwendung von Geldern aus der Lkw-Maut für die Schiene reichen die erhöhten Investitionsmittel nicht aus, um die Bedarfe zu decken, die nach Jahrzehnten unterlassener Infrastrukturinvestitionen und Kostensteigerungen im Bausektor bestehen, unter anderem auch für Digitalisierung und Elektrifizierung. Eine klimapolitische Priorisierung der Projekte des Bundesverkehrswegeplans 2030 wurde versäumt, zumal die Basisprognose als Grundlage ungeeignet ist. Lediglich in Aussicht gestellt wurde die Schließung der Zielerreichungslücke mit einer ambitionierteren Variante der Verkehrsprognose 2040. In Zeiten angespannter Haushaltsdebatten und begrenzter Bau- und Planungskapazitäten ist diese Verzögerung unverständlich. Schieneninvestitionen über Eigenkapitalerhöhungen für die Deutsche Bahn lassen die Trassenpreise im Schienenverkehr ansteigen. Eine moderne Pkw-Maut als Finanzierungsbaustein für Straßenerhalt und Stärkung des Umweltverbunds wurde nicht vorbereitet.
Empfehlung
Die neue Bundesregierung baut auf der Erhöhung der Mittel für die Schiene auf und nutzt zusätzlich Mittel, die für Aus- und Neubauprojekte auf der Straße vorgesehen waren. Sie veröffentlicht zügig auch die klimapolitisch ambitionierte Prognosevariante und kürzt in ihrer Investitionsplanung für Infrastruktur beim Neu- und Ausbau von Straßen. Für einen Bundesverkehrswege- und Mobilitätsplan 2040 modernisiert sie das Planungsverfahren und befördert ein verkehrsträgerübergreifend konzipiertes klimaneutrales Verkehrssystem. Die Finanzierung von Verkehrsinfrastruktur erfolgt über eine einzuführende fahrleistungsbezogene Pkw-Maut (siehe Kapitel 1) und über Fonds, die eine mehrjährige Bereitstellung ausreichender Mittel sicherstellen. Den Trassenpreissteigerungen im Zuge der Eigenkapitalerhöhungen beim DB-Konzern wird effektiv entgegengewirkt – durch Anpassungen hinsichtlich Eigenkapitalverzinsung, Trassenpreisförderung, Trassenpreisreform und durch Alternativen zur Eigenkapitalerhöhung.
9 | Strukturwandel in Industrie und Regionen
Status
Entsprechend der Vereinbarungen im Koalitionsvertrag hat die Bundesregierung die Transformation in der Automobilindustrie im Rahmen der neuen Industriestrategie von 2023 unterstützt, um die Klimaziele zu erreichen und Arbeitsplätze sowie Wertschöpfung hierzulande zu erhalten. Sie hat sich dabei vom beim BMWK angesiedelten Expertenkreis „Transformation der Automobilwirtschaft“ (ETA) beraten lassen. Die Koalition aus SPD, FDP und Grünen förderte die Batteriezellforschung und -fertigung, viele dieser Mittel sind aber aktuell gestrichen worden oder zumindest eingefroren. Regionale Cluster (Transformationsnetzwerke und -hubs) werden zwar gefördert, aber nur noch bis Ende 2025. Die generelle Absatzschwäche, die Produktivitätsprobleme sowie der wachsende Wettbewerb vor allem mit China sind zusätzliche Herausforderungen für den Strukturwandel der Branche.
Beurteilung
Es ist richtig und wichtig, dass die Bundesregierung die Ansiedlung neuer Wertschöpfungsbereiche aus dem Batterieökosystem und die Transformation der Automobilindustrie über regionale Cluster (Netzwerke und Hubs) unterstützt. Es fehlt jedoch ein Fonds, der es ermöglicht, kleine und mittlere Zulieferunternehmen, die die Transformation voranbringen, gesondert zu fördern. Genauso wichtig ist auch eine verlässliche politische Gesamtstrategie, die dem Markt Planungs- und Investitionssicherheit gibt und Automobilunternehmen befähigt, robuste Langfriststrategien zu entwickeln. Kurzfristige Kürzungen (wie bei der Fahrzeuganschaffung und der Batterieforschung) sind dafür genauso Gift wie Spekulationen zur Abschwächung der europäischen CO₂-Flottengrenzwerten für Pkw und für leichte Nutzfahrzeuge bis 2035. Mangelnde Technologieklarheit und Konsistenz und Stringenz des politischen Rahmens stehen der Transformation Deutschlands zum Leitmarkt für Elektromobilität entgegen.
Empfehlung
Die neue Bundesregierung forciert die Transformation als Chance für Klimaschutz und Arbeitsplätze am Industriestandort Deutschland, indem sie die Klimapolitik im Verkehr und die Industriepolitik national in Einklang bringt. Entsprechend gestaltet sie den Clean Industrial Deal in der EU mit. Sie beschleunigt den Hochlauf der Elektromobilität (siehe Kapitel 6) und verstetigt die Unterstützung der Transformation. Sie entwickelt in diesem Zuge eine Strategie für die industrielle Ansiedlung von und die Kooperation mit chinesischen Unternehmen nach europäischen Regeln zur Förderung des fairen Wettbewerbs. Die Bundesregierung verstärkt den freien Handel im Rahmen der Elektromobilität auch, um den Zugang der heimischen Industrie zu notwendigen Rohstoffen zu sichern. Zudem unterstützt sie die Entwicklung global harmonisierter Methoden zur CO2-Bilanzierung (Carbon Accounting) automobiler Lieferketten.
10.1 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Neue Allianzen
Status
Die Bundesregierung hat kein ressortübergreifendes Gesamtkonzept für die Verkehrswende und kein kohärentes Monitoring des Fortschritts bei den wesentlichen Indikatoren durchgeführt. Während in anderen Sektoren aufgrund der gestiegenen Energiepreise und -knappheiten Effizienzmaßnahmen kurzfristig umgesetzt wurden, ist dies im Verkehrssektor ausgeblieben. Die Verkehrswende wird kaum als Mittel gegen steigende Öl- und Gaspreise und die Abhängigkeit von Importen verstanden. Die Bundesregierung hat einen Expertenbeirat „Klimaschutz in der Mobilität" (EKM) unter Federführung des BMDV und einen Expertenkreis „Transformation der Automobilwirtschaft" (ETA) unter Federführung des BMWK eingerichtet. Beide Gremien werden über einen gemeinsamen Lenkungskreis koordiniert. Bundespolitische Aktionsbündnisse, die die Umsetzung der Verkehrswende voranbringen könnten, wurden nicht initiiert. Eine übergreifende Infrastrukturoffensive ist nicht erkennbar.
Beurteilung
Das Fehlen eines partei- und ressortübergreifenden Gesamtkonzepts für die Verkehrswende ist in allen Bereichen zu spüren. Es gibt keinen klaren Plan, die mittel- und langfristigen Klimaziele effektiv, ökonomisch effizient und sozial gerecht zu erreichen. Die Potenziale von EKM und ETA, ein entsprechendes Gesamtkonzept zu erarbeiten, wurden nur sehr beschränkt genutzt. Dabei kommt es gerade beim Klimaschutz im Verkehrssektor darauf an, viele verschiedene Instrumente und Maßnahmen ineinander zu verzahnen und miteinander abzustimmen. Anstatt das Einhalten der im Klimaschutzgesetz festgelegten sektoralen Emissionsziele mit einem umfassenden Sofortprogramm für den Verkehrssektor zu sichern, hat die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz geändert und die verbindlichen Sektorziele aufgehoben.
Empfehlung
Die neue Bunderegierung verankert die Verkehrswende als Teil der gesamtgesellschaftlichen Transformation. Sie beschließt ein partei- und ressortübergreifendes Gesamtkonzept für die Verkehrswende mit fiskalischen, investiven, ordnungsrechtlichen und kommunikativen Maßnahmen, mit denen Klimaneutralität im Verkehr bis 2045 erreicht werden kann – vergleichbar dem „Mobilitätsmasterplan 2040“, den das österreichische Klimaschutzministerium erstellt hatte. Diese Gesamtstrategie ist über die vier politischen Ebenen von der EU über Bund und Länder bis hin zu den Kommunen abgestimmt. An diesem Zielbild ausgerichtet können Planung und Ausbau für die benötigten Infrastrukturen erfolgen. Die Bundesregierung bringt ein Monitoring „Mobilität der Zukunft“ auf den Weg, um die Entwicklungen im Personen- und Güterverkehr zu verfolgen und Zielverfehlungen zu vermeiden. Sie stößt zudem Allianzen und Aktionsbündnisse an.
10.2 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Kommunen
Status
Generell hatte sich die Bundesregierung mit dem Koalitionsvertrag vorgenommen, im Sinne einer „lebendigen Demokratie“ neue Gesetzesvorhaben „frühzeitig und ressortübergreifend, auch in neuen Formaten“ zu diskutieren. „Die Praxis und betroffene Kreise (…) sowie die Erfahrungen und Erfordernisse von Ländern und Kommunen“ seien bei der konkreten Gesetzesausführung zu berücksichtigen. Im Verkehr hat das eine besondere Bedeutung für das in dieser Legislatur reformierte Straßenverkehrsrecht, das Städten und Gemeinden mehr Handlungsfreiheit verschaffen sollte. Im Koalitionsvertrag war darüber hinaus ein „neues kooperatives Miteinander mit den Kommunen“ vereinbart. Ebenso wurde dort eine Vereinfachung von Förderprogrammen angekündigt. Zu beiden Aspekten wurden zumindest im Verkehrsbereich keine Fortschritte erzielt. Ein für die Praxis bedeutender Punkt fehlte im Koalitionsvertrag: die Verbesserung von Personalausstattung und Qualifikation in den Kommunen.
Beurteilung
Weder die von der Bundesregierung angekündigte „lebendige Demokratie“ noch das „neue Miteinander“ wurden bei zentralen Anliegen im Verkehrsbereich über eine angemessene Beteiligung der Kommunen umgesetzt. Im Gegenteil: Die Bundesregierung hat bei der Gestaltung von Gesetzen, Verordnungen oder Förderprogrammen, die die Kommunen direkt berühren, die Fristen in Anhörungen häufig so kurz angesetzt, dass eine echte Beteiligung fast unmöglich war. Bei der Reform des Straßenverkehrsrechts wurden kommunale Akteure, wie die Initiative „Lebenswerte Städte durch angemessene Geschwindigkeiten“ mit über 1.000 Mitgliedskommunen, unzureichend eingebunden. Die Ampel unternahm zu wenig, um wachsenden Personalmangel in den Kommunen zu begegnen und die Länder bei entsprechenden Förderprogrammen zu unterstützen. Eine Ausnahme stellte die fortgeführte und vereinfachte Kommunalrichtlinie aus der Nationalen Klimaschutz Initiative (NKI) der Bundesregierung dar, die auch Personalstellen fördert.
Empfehlung
Die Verkehrswende gelingt nur als Gemeinschaftswerk und im Dialog, wofür es eine Bereitschaft in der Bundespolitik braucht. Die neue Bundesregierung bindet kommunale Spitzenverbände besser ein, beispielsweise durch angemessene Fristen bei Anhörungen. Sie startet einen Dialogprozess mit betroffenen Bundesressorts, Ländern und Kommunen, um Förderprogramme für die Finanzierung von Verkehrs- und Klimaschutzmaßnahmen auf kommunaler Ebene zu vereinfachen. Sie erhöht und verstetigt Finanzmittel und entbürokratisiert Planungsvorgaben (siehe Kapitel 2). Gemeinsam mit den Ländern entwickelt sie mit der Kommunalrichtlinie als Vorbild und mit hoher Priorität Programme, die kleineren oder finanzschwachen Kommunen unbürokratisch und effektiv Personal sowie Expertise für die Bewältigung ihrer Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Die Bundesregierung fördert die Beteiligung und Information der Bevölkerung, um Bedarfe für bezahlbare Mobilitätsangebote zu erkennen und vorhandene Angebote bekannter zu machen.
10.3 | Verkehrswende als Gemeinschaftswerk: Int. Zusammenarbeit
Status
Die Arbeit der scheidenden Bundesregierung steht im Zeichen einer veränderten geopolitischen Lage: Die Priorität liegt auf Sicherheits-, Verteidigungs- und Handelsaspekten internationaler Politik. Derweil steigen die globalen CO₂-Emissionen des Verkehrs und die Motorisierung nimmt speziell in Schwellenländern rasant zu. Gleichzeitig wird die Elektrifizierung des Verkehrs als Chance gesehen, die Abhängigkeit von fossilen Energieimporten zu reduzieren und eigene Wertschöpfung in den jeweiligen Ländern zu schaffen. Das Beispiel China zeigt, wie rasant Schwellenländer sich an die Spitze des Hochlaufs klimaneutraler Technologien setzen können. In multi- und bilateralen Partnerschaften fördert die Bundesregierung Klimaschutz im Verkehr als Teil der Energiewende in Partnerländern. Die Einhaltung des internationalen Klimafinanzierungsziels der Bundesregierung im kommenden Jahr steht auf der Kippe.
Beurteilung
Die Bundesregierung hat die Verkehrswende nicht zum Schwerpunkt internationaler Zusammenarbeit gemacht. Für einen Paris-kompatiblen Emissionspfad ist Deutschland darauf angewiesen, ambitionierte Klimaschutzprojekte international zu unterstützen. Der Verkehrssektor ist verantwortlich für fast ein Viertel der klimaschädlichen Energieemissionen. Der Anteil der Fördermittel liegt allerdings deutlich unter dem Emissionsanteil des Verkehrs. Es bedarf einer klaren Strategie zur Unterstützung der Verkehrswende in der internationalen Zusammenarbeit. Deren Fehlen schwächt den Klimaschutz und die exportorientierte deutsche Mobilitätsindustrie, die große Summen in die E-Mobilität investiert und auf internationale Absatzmärkte angewiesen ist. Von besonderer Bedeutung ist der afrikanische Kontinent, dessen Bevölkerung und Wirtschaft in diesem Jahrhundert global am stärksten wachsen werden. Allein mit einem international unterstützten Technologiesprung (leapfrogging) können die Klimaziele hier erreicht werden.
Empfehlung
Die Verkehrswende wird zu einem Kernthema der internationalen Zusammenarbeit Deutschlands. Die neue Bundesregierung schafft international Klarheit darüber, Deutschland zum Leitanbieter und Leitmarkt für Elektromobilität zu machen, indem sie sich zum globalen Verbrennerausstieg bekennt – etwa durch Unterzeichnung der Glasgow Declaration. In bestehenden Partnerschaften steht die Dekarbonisierung des Verkehrssektors entsprechend dessen Emissionsanteils mehr im Fokus. Neue internationale Transformationspartnerschaften verbinden die Industrie- und Klimapolitik. Sie ermöglichen es, Lieferketten und Absatzmärkte resilient abzusichern und eine nachhaltige Entwicklung in Partnerländern mit neuen Finanzierungsinstrumenten zu fördern. Die Bundesregierung setzt sich für freien Handel für die Elektromobilität ein. Im Rahmen der multilateralen Zusammenarbeit wie der G20 oder des Klimaclubs setzt sie sich dafür ein, der internationalen Verkehrswende neuen Schwung zu verleihen.
Bibliographische Daten
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Vom Fortschritt in Fragmenten zum Gemeinschaftswerk im Ganzen
Bilanz der Klimapolitik im Verkehr zum Ende der Ampelkoalition mit Empfehlungen für einen Kurs auf Klimaneutralität, Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit
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Pressemitteilung
Verkehrswende als industrie- und sozialpolitische Kernaufgabe für die kommende Legislaturperiode
Projektleitung
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Christian Hochfeld
Direktor
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Philipp Prein
Leiter Kommunikation